2. Katechese 2004/05 - "Leben und Sterben - Der Dom als Begräbnisstätte"
Dies hänge ganz eng zusammen mit dem Bewusstsein, dass die Menschen unterwegs, Pilger seien. "Der Weg des Christen und die Hoffnung, die Gegenwart, das Kommen des Herrn. Ich werde die Einzelheiten nicht vorwegnehmen, denn heute darf ich Reinhard Gruber bitten, der uns diesen wunderbaren kleinen, aber sehr dichten Domführer geschenkt hat und der den Dom wunderbar kennt, auch seine Theologie, seine Glaubenssprache. Ich darf ihn heute bitten uns durch das Sterben - und das ist immer natürlich auch verbunden mit dem Glauben an die Auferstehung - durch das Sterben durch den Dom führen. Wir haben heute im Evangelium dieses große Wort Jesu gehört "Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden; für ihn sind alle lebendig". Reinhard Gruber, ich darf Sie bitten, uns heute in das Reich nicht des Todes; sondern der Hoffnung auf die Auferstehung hier im Dom zu führen."
Uns reuet unsre Missetat, die dich, Herr erzürnet hat. Heiliger Herre Gott, heiliger starker Gott, heiliger barmherziger Heiland, du ewiger Gott, lass uns nicht versinken in des bittern Todes Not. Kyrie eleison. "Media vita in morte sumus", 11. Jh
"Media vita in morte sumus" "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen."
Unseren Altvorderen war dieser Spruch sehr vertraut. Wenn ich daran denke, dass von den elf Geschwistern meiner Großmutter nur vier das Erwachsenenalter erlebt haben, zeigt sich das augenscheinlich. Aber auch wir sind vom Tod umfangen. Täglich begegnen wir ihm im Sterben lieber Menschen, in den Medien durch Berichte von Unfällen, Terroranschlägen und dergleichen. Fast in jedem Spielfilm kommt der Tod vor, oft auch auf grausame Art und Weise. Der Tod ist der große Schatten in unserem Leben, unser ständiger Begleiter.
Und das sinnlose tausendfache Sterben auf unseren Straßen halten wir nur für einen Regiefehler der Technik. Früher war es auch in der Stadt anders. Die "Zügenglocke" gab mit achtzig Schlägen zu erkennen, dass ein Kind, mit zwei mal achtzig Schlägen, dass eine Frau und mit drei mal achtzig Schlägen, dass ein Mann verstorben war. Vielerorts ist es am Land auch heute noch so.
Die Menschen des Mittelalters kannten die "Ars moriendi", die Kunst des Sterbens. Es geht dabei um eine Kunst heilvollen Sterbens. Als aktive Lebensaufgabe finden wir das Einüben ins Sterben als zentrale Thematik in der Antike und im frühen Christentum, bei den Kirchenvätern, zum Beispiel beim hl. Augustinus. Benedikt von Nursia nahm die Ars moriendi in seine Ordensregel auf. Der hl. Johannes Bosco, der große Vater und Lehrer der Jugend und Gründer der Salesianer und Don-Bosco-Schwestern - er ist 1888 gestorben -, empfahl seinen Priestern und Jugendlichen einmal im Monat die so genannte "Übung vom guten Tod", eine Art Einkehrtag mit Vortrag, Beichte und Besinnung. Die Salesianer halten dies bis heute so. Sich mit dem eigenen Sterben vertraut machen bedeutet auch, dem eigenen Tod das schrecklich Ängstigende zu nehmen.
75 Pestjahre zwischen 1326 und 1500 nährten die Angst vor einem jähen Tod. Dem zeitgenössischen Glauben der damaligen Menschen entsprechend bedingte die sittliche Verfassung in der Todesstunde das ewige Glück. So fürchtete man einen jähen, plötzlichen Tod, also unvorbereitet und ohne Akt der Reue, ohne Empfang der Sakramente sterben zu müssen. Als Patron gegen einen unvorhergesehenen Tod gilt der hl. Christophorus und so finden wir ihn einige Male hier im Dom auch dargestellt.
Besonders beeindruckend die Figur hier im Mittelchor, am nördlichen Pfeiler beim Choreingang. Ein Werk von Niclaes Gerhaert van Leyden. Christophorus trägt hier die Gesichtszüge von Kaiser Friedrich III. Der Heilige war der Lieblingsheilige des Kaisers und so ließ er ihn gegenüber seinem Oratorium aufstellen, damit er ihn immer ansehen konnte. Man glaubte, dass der morgendliche Blick auf den Heiligen an diesem Tag vor einem plötzlichen Tode schützen würde. Deshalb ist der hl. Christophorus auch sehr oft groß und unübersehbar außen an Kirchenmauern dargestellt, damit man ihn auch von ferne sehen konnte und die Umherziehenden durch den Anblick des Heiligen geschützt werden auf ihrer gefährlichen und unsicheren Wanderung.
Vielleicht wäre es auch für uns gut, wenn wir uns jeden Morgen bewusst machen, dass dieser Tag auch unser letzter sein kann.
Kirchen dienten nicht nur Heiligen als Begräbnisstätte, sondern auch Priester und Stifter fanden in ihnen ihr Grab. St. Stephan ist auch eine Begräbniskirche. Ursprünglich als herzogliche Begräbnisstätte von Rudolf IV. für sich und seine Nachkommen begründet, wie die Geheimschrift im Bischofstor, also beim Eingang in den Dom, dokumentiert, fanden später auch die Mitglieder des Domkapitels, die Bischöfe, Gelehrte der Universität sowie in der Barockzeit Frauen und Männer aller Schichten und Stände hier ihre letzte Ruhestätte. "Zu seiner selbst, seiner Gattin, der Kinder und der Vorfahren Seelenheil" heißt es immer wieder, stifteten Familien hier ihr Begräbnis.
Der Friedhof konzentriert alle Andacht auf die Toten. Er wird dadurch zu einem Ort der Ruhe und der besänftigenden Stille. Der Friedhof als ein Ort, der uns lehrt, dass Tod und Abschied Bestandteile unseres Lebens sind. Leider haben es nun auch viele Dörfer aus Rücksicht auf den Fremdenverkehr und Dorfbildcharakter den Städten nachgemacht und ihren Friedhof aus dem Wohnbezirk hinausverlegt. Friedhof und Kirche zu trennen heißt für mich, mit einer der schönsten und heilsamsten Traditionen zu brechen, die unsere christliche Kultur geschaffen hat. Die Lebenden sollten, wenn sie den Gottesdienst besuchen, ein "Memento mori" ("Gedenke, dass du sterben wirst") erfahren und andererseits die Toten in die Gemeinschaft der Lebenden eingebunden bleiben.
Hier in St. Stephan kann uns bei jedem Kirchenbesuch deutlich werden, dass wir in eine "Gemeinschaft der Heiligen" eingebunden sind, die viel größer ist als unsere Pfarre, unsere Diözese: unter uns, unter dem Kirchenboden, liegen zahllose Verstorbene, für die wir beten; und über uns, auf den Altären und Pfeilern, sehen wir eine kleinen Teil der noch viel zahlloseren Heiligen, die auf uns warten.
Wenn schon nicht in der Kirche selbst - um auch im Tode dem Gottesdienst beiwohnen zu können, was aber nur wenigen Auserwählten vergönnt war -, wollten die Menschen des Mittelalters doch möglichst nahe, sozusagen "im Schatten" ihrer Kirche, den jüngsten Tag erwarten. Die Nachfrage nach Bestattungen war größer als der vorhandene Platz. Daher wurden die Gräber immer wieder geöffnet und die Gebeine in Beinhäusern aufbewahrt.
Die Ausgrabungen im Inneren des Domes in den Jahren 1997 bis 2000 erbrachten wichtige neue Erkenntnisse. Die älteste Nutzung des spätantiken Domareals war die eines Gräberbezirks, in dem Steinplattengräber aus dem 4. Jahrhundert zu finden waren. Sie sind noch mit der römischen Besiedelung Vindobonas in Zusammenhang zu bringen. Für das 9. Jahrhundert konnte ein Friedhof nachgewiesen werden. Bald darauf folgten erste größere Kirchenbauten. St. Stephan war seit der Babenbergerzeit die bedeutendste Pfarrkirche Wiens und somit auch Begräbniskirche. Bei den Grabungen wurden im Inneren der Kirche 430 Gräber geborgen, die auch wertvolle Aufschlüsse über den Totenkult vom Mittelalter bis in die Neuzeit geben. Diese neuen Erkenntnisse zeigen, dass die Geschichte St. Stephans nicht erst im überlieferten Gründungsjahr 1137 beginnt, sondern seine Wurzeln weit tiefer in die Vergangenheit zurückreichen als bisher vermutet.
Nur ein Teil des ganzen Platzes wurde tatsächlich als Begräbnisstätte verwendet; von Wegen durchbrochen, erstreckten sich insgesamt acht größere und kleinere Gräberfelder, "Bühel" (Hügel) genannt, auf welchen alle jene, die keine Gruftbestattung erhielten, begraben wurden. Der Friedhof hatte für das liturgische Leben eine große Bedeutung, zumindest einmal pro Woche fand eine Prozession statt, die Palmweihe wurde beispielsweise am so genannten "Palm-Bühel" gehalten.
Im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts, unmittelbar vor der Glaubensspaltung, stifteten Wiener Bürger und Ratsherren großflächige Andachtsbilder aus Stein, die zugleich als Schmuck des Chorpolygonals dienten. Daneben ließen sie ihre Grabdenkmäler anbringen, nicht weit davon auf dem Freithof befanden sich ihre Gräber.
Mit Resolution vom 21. Jänner 1732 wurde der Friedhof von Kaiser Karl VI. aus hygienischen Gründen geschlossen. Bis 1783 erfolgten nunmehr die Bestattungen in den Katakomben, bis Kaiser Josef II. 1783 auch dies verbot und die Friedhöfe vor die Tore der Stadt verlegte. Der für St. Stephan nun zuständige war der Friedhof zu St. Marx.
Die so genannten Katakomben unter dem Dom und unter dem nordöstlichen Stephansplatz haben natürlich nichts mit den römischen Namensvettern gemein.
Man findet hier kein Märtyrergrab, keine frühchristliche Nekropolen. Der Name "Katakomben" ist den Bewohnern der österreichischen Bundeshauptstadt zu verdanken. Sie haben das weitverzweigte ältere Gangsystem unter der Domkirche - "die Kirchengrüfte" - und das jüngere (ab 1744) - "die Neuen Grüfte" - unter dem nordöstlichen Stephansplatz so benannt. Das Zentrum bildet das Grab Rudolph des Stifters in der Herzogsgruft (um 1363) unter dem Hochaltar. Nicht Heilige oder Märtyrer haben hier ihre Ruhestätte gefunden, sondern tausende Wienerinnen und Wiener aus der Zeit des Barock.
Bis heute sind die Katakomben Begräbnisstätte für die Wiener Erzbischöfe und die Mitglieder des Domkapitels, denen die Obsorge über den Dom anvertraut ist. Wohl der Großteil der Besucher durchwandert sie im Rahmen einer Führung, um schauriges Gruseln zu erfahren, doch daneben gibt es auch die wirklich Trauernden und jene, die der Vorangegangenen gedenken wollen.
Insgesamt haben in der Zeit von 1732 bis 1783 10.893 Wienerinnen und Wiener hier ihre letzte Ruhestätte gefunden.
Im Rahmen der Wiederaufbauarbeiten von St. Stephan nach dem großen Dombrand in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs mussten vor der Neupflasterung des Chores die dort bestatteten Wiener Oberhirten 1951 exhumiert werden. Fast alle alten Gruftplatten waren durch die Hitze und den Einsturz der Gewölbe geborsten.
In Anwesenheit des damaligen Erzbischofs, Kardinal Dr. Theodor Innitzer, wurden die sterblichen Überreste, die großteils gut erhalten waren, in neue Kupfersärge, verziert mit Namen und Wappen, umgebettet und provisorisch in den Katakomben beigesetzt. Es zeigte sich, dass es keinen würdigen gemeinsamen Gruftraum für die Erzbischöfe Wiens gab. So erteilte Kardinal Innitzer den Auftrag, eine eigene Bischofsgruft zu gestalten. Den Großteil der Kosten der Gestaltung wie auch der Exhumierung trug übrigens Kardinal Innitzer selbst, dem - wie er bei der Einweihung der Gruft am 30. Oktober 1953 meinte - gegönnt war, seine eigene Grabstätte einweihen zu dürfen.
An der Stirnseite steht ein Altar, an dem seit 1953 alljährlich am Allerseelentag der regierende Erzbischof für seine Vorgänger ein stilles Requiem feiert. Darüber erhebt sich ein Relief des auferstehenden Christus von Josef Troyer mit der lateinischen Inschrift: "Gesät wird in Vergänglichkeit, auferweckt in Herrlichkeit."
Als letzter hat unser allseits verehrter Kardinal Franz König seinem Wunsch entsprechend hier seine letzte Ruhestätte gefunden.
Die größte Gruft und später gewissermaßen das Zentrum aller Bestattungen in St. Stephan war die von Herzog Rudolf IV. angelegte Herzogsgruft unter der Apsis des Mittelchores. Hier befinden sich 15 Särge, erhöht in der Mitte liegt Rudolf der Stifter, der 1365 mit 26 Jahren gestorben ist. Die Gruft war ursprünglich ein rechteckiger gewölbter Raum unter dem Mittelchor. Den Abgang beim "Gottleichnamsaltar" deckten zwei Gruftplatten. Durch die Grablege direkt unter dem Chor waren Rudolf und seine Familie gleichsam in die Gebetsgemeinschaft der Priester, besonders des von ihm gegründeten Kollegiatkapitels, des heutigen Domkapitels, miteingebunden. Nach 1566 geriet die Gruft in Vergessenheit. Wiederentdeckt wurde sie im 17. Jahrhundert. Der Kaiser bestimmte die Gruft nun zur Aufbewahrung der Intestina (Eingeweide) der Habsburger. Die erste Beisetzung einer Eingeweideurne in St. Stephan fand 1654, die letzte 1879 statt.
Während der Nordchor vor allem die Grüfte der Domgeistlichkeit beherbergte, befanden sich im Südchor die Begräbnisstätten der Universitätsprofessoren. Im Laufe der Zeit verschwanden die vielen kleinen Privatgrüfte infolge von Umbauten und Erneuerungen der Einrichtung in der Kirche.
Die vielen Epitaphien, also Grabdenkmäler an und in St. Stephan zeigen auch sehr schön die verschiedenen Geisteshaltungen der entsprechenden Zeiten.
Im Gegensatz zu dem 1517 gesetzten Grabstein für den Wiener Domherrn Johannes Kaltenmarkter in der Eligiuskapelle (+1506), der den Verstorbenen gemeinsam mit seinem Namenspatron unter dem Kreuz zeigt, atmen die Epitaphien des Conrad Celtis (Das Wort "VIVO" - "Ich lebe" in einem Lorbeerkranz) und des Johannes Cuspinian (+1529) bereits einen ganz anderen Geist. Hier steht der Verstorbene selbst im Mittelpunkt der Darstellung. In der Barockzeit kommt dann die Frömmigkeit und der Glaube an die Auferstehung wieder mehr zum Ausdruck.
Die Kanoniker des Domes (Ratgeber des Erzbischofs, denen die Verwaltung des Domes übertragen ist) liegen in der Domherrengruft unter dem Frauenchor begraben.
Bis zum Verbot der Gruftbestattungen unter Kaiser Josef II. hatten die Dignitäre und Kanoniker des Domkapitels in verschiedenen Grüften des Domes ihr Grab gefunden, mehrere Dompröpste hatten im Frauenschiff ihre letzte Ruhestätte. Später wurden die meisten Domherren in einer eigenen Grabanlage am Wiener Zentralfriedhof bestattet. Die Errichtung der Domherrengruft geht auf eine Initiative des Motors des Wiederaufbaus von St. Stephan, des wortgewaltigen Dompfarrers Prälat Dr. Karl Rafael Dorr (+ 1964) zurück, der sie 1963/64 erbauen ließ; er wurde dort auch als erster beigesetzt.
Auch wenn sich das Gedenken an die in den unterirdischen Grufträumen Beerdigten auf die Erzbischöfe und Domherren beschränkt, so bleiben die Katakomben bis heute ein - wenn auch für die Allgemeinheit geschlossener - Friedhof, der mit Stille und Pietät betreten werden sollte; eingedenk der Worte, die uns die Heilige Schrift überliefert:
"Gott wird in ihrer Mitte wohnen, und er wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen. Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu."
(Offb 21, 3-5)
Darin heißt es - ins heutige Deutsch übertragen: "Da wir mit rechter Erkenntnis erkannt haben, dass nichts gewisser ist als der Tod und nichts ungewisser als die Stunde des Todes, und dass vor allen Dingen ein jeder Mensch die Zeit vor seinem Tod mit guten Werken verbringen soll, damit er bereit sei, wenn er von dieser Welt scheidet, und da wir in dem Gotteshaus zu Sankt Stephan in Wien unser Begräbnis erwählt haben, so begehren wir unseren Vorvorderen, für uns selbst, unsere Brüder und Erben unser Gedächtnis hier zu haben und dass der Gottesdienst hier zu begehen sei." (Diözesanarchiv Wien, Urkundenreihe, 1363 April 12)
Herzog Rudolf sorgte also schon zu Lebzeiten für sein ewiges Andenken. Bereits in seiner Verordnung für die Kirche zu St. Stephan aus dem Jahr 1363 kommt er auch auf "der Herzogen Grab" zu sprechen, und zwar als eine bestehende Einrichtung. Das Kenotaph selbst wird in das Jahr 1362 datiert - Herzog Rudolf starb 1365 erst 26jährig in Mailand. Das damals nach dem Willen des Stifters direkt über seiner Gruft, also vor dem Hochaltar bzw. Gottleichnamsaltar stehende Grabdenkmal sollte an allen Tagen des Jahres mit zwei brennenden Kerzen geschmückt werden und das von ihm gestiftete Kollegiatkapitel täglich ein feierliches Amt auf dem Gottleichnamsaltar und dem Frauenaltar für das Seelenheil des Stifters singen. Bis heute brennt unten in der Gruft beim Sarg des Herzogs eine Kerze und täglich feiert das Domkapitel in der Früh das Kapitelamt in der Intention "für alle lebenden und verstorbenen Freunde, Stifter und Wohltäter von St. Stephan".
Der kleinen hl. Therese wird das Wort zugeschrieben: "Nicht der Tod wird mich holen kommen, sondern der liebe Gott!"
Unsere Altvorderen haben diesen ihren Glauben auch in den Darstellungen und Inschriften auf ihren Gräbern festgeschrieben. Oft sind die Stifter betend, den Rosenkranz in den Händen haltend, unter dem Kreuz dargestellt, man findet auch Darstellungen ihrer Namenspatrone oder Lieblingsheiligen und immer wieder die Szene der Auferstehung. Da liest man dann zum Beispiel die beeindruckenden Worte: "Gott schenke ihnen eine fröhliche Auferstehung."
Viele Heiligenstatuen - die Pfeilerfiguren von St. Stephan sind ja dann auch ein eigenes Thema unserer Katechesenreihe - sind von Familien gestiftet worden, die auch oft klein unter der Figur kniend dargestellt sind. Ihrem Schutz und ihrer Fürbitte haben sie sich anvertraut, unweit davon auch oft ihr Grab gefunden. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, dass die Gedenktage der Heiligen fast ausnahmslos nicht ihre Geburtstage sind, sondern die Jahrestage ihres Todes - weil ja der Tod eines Christen sozusagen sein "eigentlicher" Geburtstag für das himmlische Leben ist.
Es würde zu weit führen, alle Epitaphien auszuführen. Ich möchte aber anhand der beiden großen Grabdenkmäler hier im Dom, dem Rudolfs- und dem Friedrichsgrab, aufzeigen, wie sich darin der Glaube der Menschen manifestiert.
Herzog Rudolf bestimmte die Gruft unter dem Hochaltar als neue habsburgische Grabstätte. Auf seinem Grabdenkmal, das etwa zwei Jahre vor seinem Tod entstanden ist, sind er und seine Gattin als Liegefiguren dargestellt. Die umgebende Inschrift nimmt aber nicht auf ihn als Person Bezug, sondern allgemein auf der "Herzogen Grab". Rudolf und Katharina sind also als idealtypisches Herrscherpaar dargestellt. Das gesamte Geschlecht soll in ihnen präsent sein, gleichsam als Gründer dieser Begräbnisstätte.
In den heute leeren Arkaden waren Gelehrte der Universität, Rudolf ist ja auch deren Stifter, sowie Chorherren aus dem von ihm gegründeten Kollegiatkapitel zu St. Stephan, dem heutigen Domkapitel dargestellt. Also gleichsam jene beiden Gemeinschaften, die ihm ein ehrendes Andenken bewahren bzw. für sein und seiner Vorgänger und Nachkommen Seelenheil beten sollten.
Die Aufstellung vor dem Altar in der Mitte des Chores sollte die zum Gebet versammelten Chorherren immer an ihren Stifter und Gründer erinnern. Durch die Grablege unter dem Chor war er augenscheinlich mit der eucharistischen Gemeinschaft und der des Gebets verbunden.
Wir wissen nicht genau, wann das Rudolfsgrab in den Nordchor versetzt wurde. Ich persönlich bin der Meinung, dass es noch zu Lebzeiten Kaiser Friedrichs III. und auf seine Anordnung hin verlegt wurde, weil der Kaiser so zwei Brennpunkte geschaffen hat: im linken Seitenchor den Gründer des Kapitels und im rechten Seitenchor, gleichsam in einer Grabkapelle, das Grab für sich selbst, als den Gründer des Bistums Wien. Es ist mir bewusst, dass viele Historiker hier eine andere Meinung vertreten.
Das Friedrichsgrab gilt als das größte und bedeutendste Kaisergrabmal nördlich der Alpen. Schon 1463 hat Kaiser Friedrich den damals bekanntesten Künstler, Niclaes Gerhaert van Leyden, den Schöpfer unserer Christophorusstatue, gewinnen können, den Entwurf für sein Grabmal zu schaffen. Meister Niclaes schuf das Konzept und den Tumbadeckel, dann starb er und zwei seiner Schüler, Max Valmet und Michael Tichter, haben das Werk 1513 vollendet, also 20 Jahre nach dem Tod des Kaisers. Fünfzig Jahre hat man daran gearbeitet.
Was sieht man:
Das Grab ist so konzipiert, dass man über eine kleine Treppe an der Ostseite auf die Balustrade hinaufsteigen kann, damit - wie bei den Exequien üblich - der Priester oder Bischof den Sarg (und der Kaiser liegt auf dieser Höhe) zwei Mal umschreiten kann: einmal mit Weihwasser und einmal mit Weihrauch.
An der Balustrade selbst sieht man an der Stirnseite in der Mitte Jesus Christus als "Salvator Mundi", als "Retter der Welt", dann die zwölf Apostel und die Evangelisten, die kleineren Heiligen sind die Lieblingsheiligen des Kaisers, die er wohl selbst ausgesucht hat. Dahinter erkennt man allerlei Getier, Fabeltiere, die die Sünden des Kaisers darstellen. Friedrich war ein sündiger Mensch wie wir. An der Tumba selbst sind dann Reliefplatten zu sehen, die die frommen Stiftungen des Kaisers darstellen: zum Beispiel die Stiftung des Bistums Laibach, des Bistums Wiener Neustadt, des Franziskanerklosters zu Graz oder der Zisterzienserabtei St. Bernhard in Wiener Neustadt. Jeweils sind die Domkapitel bzw. die Ordensgemeinschaften im Gebet dargestellt. Dazwischen stehen die Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation; Friedrich war der letzte in Rom vom Papst gekrönte und gesalbte Kaiser. Die übrigen Figuren sind wieder Heilige, darunter auch wohl die erste Darstellung des kanonisierten hl. Leopold.
Darauf aufgesetzt sind kleine Figuren, die betende und klagende Mönche und Bischöfe zeigen, die für das Seelenheil des Kaisers beten. Dann kommt eine Wappenreihe, also die Ländereien und Besitzungen des Herrschers und schließlich der Tumbadeckel selbst:
Hier sehen wir den Kaiser, mit authentischen Gesichtszügen, in vollem Krönungsornat, Szepter und Reichsapfel tragend. Darüber ein kleines Relief seines Lieblingsheiligen, des hl. Christophorus. Der Kaiser liegt, aber er hat die Augen geöffnet und er hebt sein rechtes Bein, so, als wollte er aus seinem Grab auferstehen.
Es wird immer wieder die Frage gestellt, warum die Gründung des Bistums Wien am Grab selbst nicht dargestellt ist. Die Antwort darauf findet sich meiner Meinung darin, dass eben am Rudolfsgrabmal Vertreter des von ihm gegründeten Kollegiatkapitels, des heutigen Domkapitels dargestellt waren, also die Gebetsgemeinschaft hier bei St. Stephan schon bestand. Bei den anderen Gründungen sind ja am Friedrichsgrab auch nicht die Orte, sondern die Gebetsgemeinschaften dargestellt. Auch die Inschriften nehmen darauf Bezug. Aus diesem Grund bin ich auch überzeugt, dass Friedrich das Rudolfsgrab in den Nordchor versetzen ließ, weil eben darauf das Wiener Kapitel, also die Gebetsgemeinschaft schon zu sehen war.
Der ikonografische Aufbau des Friedrichsgrabes drückt - nach damaligem Verständnis - die Hoffnung auf die Auferstehung aus:
Der Kaiser war ein Sünder, aber aufgrund seiner guten Werke und frommen Stiftungen, durch die Gnade Christi, des "Salvator Mundi" (Retter der Welt), auf die Fürsprache der Apostel und aller Heiligen und aufgrund der Gebete, die in den Stiftungen für den Kaiser verrichtet werden, kann dieser am Jüngsten Tag aus seinem Grab auferstehen - Christus, der Sonne entgegen.
Die beiden Gräber sind also nicht nur Manifestationen der Macht, sondern vor allem des Glaubens.
Zwischen diesen beiden Gräbern steht über der Herzogsgruft, in der auch Kaiser Friedrich bis zur Vollendung seines Grabmals provisorisch beigesetzt wurde, der Hochaltar. Er gehört von seiner Architektur her zum so genannten "Porta-Coeli-Typ", also "Pforte des Himmels - Typ", weil er wie ein Hausportal konzipiert ist. Das Bild zeigt den sterbenden Dompatron Stephanus mit bleichem Antlitz vor den Mauern Jerusalems und darüber Christus, den Auferstandenen, zur Rechten des Vaters - der geöffnete Himmel, wie ihn Stephanus bei seinem Tod sah. Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass die Perspektive auf diesem Bild eigentlich unlogisch ist: So wie Christus im geöffneten Himmel dargestellt ist, kann Stephanus ihn gar nicht sehen. Aber vielleicht ist das bewusst so gemalt: Vor allem wir selbst sollen sehen, was Stephanus bei seinem Tod sah und was auch uns, so hoffen wir, erwartet: Christus, der auf uns zugeht, der uns empfängt, wenn wir sterben. Auf dem rechteckigen Bild darüber sieht man den Himmel, Maria als Königin aller Heiligen und schließlich wird der Altar bekrönt von der Figur Mariens, die in den Himmel aufgenommen wird. An ihr hat sich bereits erfüllt, was wir alle erwarten und erhoffen am Ende der Tage: die Aufnahme in den Himmel mit Leib und Seele.
"Es ist ein heilsamer und tröstlicher Gedanke für die Verstorbenen zu beten", heißt es in der Schrift.
(vgl. 2 Makk 12, 44 - 45)
Die Toten in St. Stephan sind nicht vergessen. Zu Allerseelen wird ihrer gedacht, am Todestag eines Kanonikers begeben sich die Domherren zum Totengedenken in die Gruft, der Erzbischof feiert am Jahrestag des Todes seines Vorgängers für ihn ein Requiem. Täglich feiert das Domkapitel die Messe für die "lebenden und verstorbenen Freunde, Wohltäter und Stifter von St. Stephan". Außen am Dom brennt in den alten Totenleuchten ein Ewiges Licht zum Gedenken an die Verstorbenen und an die vielen Tausenden, die am alten St. Stephans-Freithof ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Ja, und täglich läutet zum Gedenken an alle, die an diesem Tag gestorben sind, nach dem Angelus um 19.00 Uhr die "Armen-Seelen-Glocke". Und irgendwann wird sie auch für uns läuten und die noch Lebenden zum Gebet für uns aufrufen.
"Media vita in morte sumus"
Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen. Wer ist, der uns Hilfe bringt, dass wir Gnad erlangen? Das bist du, Herr, alleine. Uns reuet unsre Missetat, die dich, Herr, erzürnet hat.
Heiliger Herre Gott, heiliger, starker Gott, heiliger, barmherziger Heiland, du ewiger Gott, lass uns nicht versinken in des bittern Todes Not. Kyrie eleison.
Dir haben unsere Väter vertraut, sie haben vertraut, und du hast sie gerettet (Ps 22,5) Heiliger Herre Gott.
Verwirf mich nicht, wenn ich alt bin, verlass mich nicht, wenn meine Kräfte schwinden (Ps 71,9)
Heiliger Herre Gott.
Rette mich vor dem Rachen der Löwen, vor den Hörnern der Büffel rette mich Armen (Ps 22,22).
Heiliger, barmherziger Heiland, übergib mich nicht dem bitteren Tod.
Ich möchte schließen mit den Worten des Abendsegens, wie er - nach altem Brauch - in den Klöstern gesprochen wird: "Eine ruhige Nacht und ein seliges Ende gewähre uns der allmächtige und barmherzige Gott."
Und so segne euch und alle, die ihr im Herzen tragt, der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
Gelobt sei Jesus Christus. In Ewigkeit. Amen.