3. Katechese 2004/05: "Orte der Andacht"
Eminenz, lieber Herr Kardinal, lieber Reinhard, liebe im abendlichen Dom zu St. Stephan versammelte "Katechesen - Gemeinde"!
Das Thema des heutigen Abends hat im Jahr der Eucharistie eine besondere Aktualität. Darum haben wir auch hier um den Hauptaltar von St. Stephan einiges zusammengetragen, was der Dom dazu zu bieten hat. Ich darf auf das Bild der Monstranz hinweisen, welches der Kirchenmeister oben auf dem Dach zusammengerollt gefunden hat; es stammt wohl von einem Fronleichnamsaltar und wird restauriert werden; weiters die Tafel mit dem Aufforderung "Venite adoremus" - "Kommt, lasst uns anbeten!" - sie wurde bis vor einigen Jahrzehnten immer zu Beginn des 40-stündigen Gebetes am Haupttor angebracht, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu erreichen.
Drei Evangelisten - Matthäus, Markus und Lukas - berichten uns ziemlich übereinstimmend von den Ereignissen jener Feier. Johannes berichtet uns als einziger von dem liebevollen Dienst der Fußwaschung und von dem neuen Gebot, das Jesus ihnen in dieser wehmütigen Stunde noch einmal ans Herz legte: "Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt."
Damit war alles gesagt, alles zusammengefasst, wofür Jesus gelebt hatte. Dann ging er mit ihnen hinaus zum Ölberg, im Wissen um sein Leiden und seinen Tod.
Dieses Geschehen vor Augen, ist der Altar jeder katholischen Kirche ein ergreifender und liebevoller Ort zugleich: im heilbringenden Gedächtnis jeder Eucharistiefeier, in der wir für seinen Tod und seine Auferstehung danken, hat uns Jesus Christus seine bleibende Gegenwart geschenkt, unter den Mahlgestalten von Brot und Wein. Und was das letzte Abendmahl im Hinblick auf das damals noch bevorstehende Kreuzesopfer Jesu sozusagen vorweggenommen hat, genau das feiern wir nun seit über 2000 Jahren in jeder heiligen Messe im Nachhinein, und zwar so lange, bis der Herr wiederkommt in Herrlichkeit. Das heißt: immer wenn wir Eucharistie feiern, wenn wir uns in Liebe und Dankbarkeit für die Hingabe Jesu Christi um den Altar, den Tisch des Herrn, versammeln, dann sind durch die liturgische Erinnerung, durch das Gedächtnis an seine Hingabe, Raum und Zeit gleichsam aufgehoben, dann sind auch wir in Jerusalem im Abendmahlsaal versammelt.
Die Menschen des Mittelalters haben das mit allen Sinnen nachempfunden. Deshalb bewahrt die Reliquienschatzkammer von St. Stephan unter anderen Kostbarkeiten ein Stück vom Tischtuch des Letzten-Abendmahlstisches, ein "wolgezierts vergults plenari darinn des Tischtuchs auf dem der Herr Jhesus mit seinen Jungeren das lesst abentessen hat geessen", auf.
Im Wiener Heiltumbuch, das der Wiener Ratsherr Matthäus Heuperger im Jahr 1502 drucken ließ, finden wir eine Abbildung dieses Reliquiars. Ein Stück Himmel auf Erden, wie unsere Vorfahren glaubten. Es ist für den heutigen Abend aus der Reliquienschatzkammer im nördlichen Heidenturm hier herunter vor den Hauptaltar gewandert und soll uns daran erinnern, dass der Altar jeder katholischen Kirche nicht ein Ort für Opferhandlungen im heidnischen Sinn, sondern "Tisch des Herrn" ist.
Die Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch (Nr. 259) umschreibt sein Wesen und seine Aufgabe folgendermaßen: "Der Altar, auf dem das Kreuzesopfer unter sakramentalen Zeichen gegenwärtig wird, ist auch der Tisch des Herrn, an dem das Volk Gottes in der gemeinsamen Messfeier Anteil hat: Er ist zugleich Mittelpunkt der Danksagung, die in der Eucharistiefeier zur Vollendung kommt!"
Wenn auch der "Altar" des Letzten Abendmahles noch nicht ein Tisch in unserem Verständnis war, sondern nach den Berichten der Schrift eine nur wenig über den Boden erhobene Platte, um die die Teilnehmer, auf den linken Ellenbogen gestützt, lagen, so war die Grundgestalt des christlichen Altares doch sinngemäß ein Tisch. Ein Tisch aus Holz ohne festen Standort, der von Diakonen zum Gottesdienst herangetragen wurde.
Nach der Konstantinischen Wende mehrten sich die festen Steinaltäre. Dies geschah vor allem wegen der symbolischen Gleichsetzung des Altares mit Christus als dem Felsen und Eckstein (1 Kor 10,4). Sie standen zumeist vor oder unter dem Apsisbogen, bzw. am Eingang zum Presbyterium als Sinnbilder der Würde Christi und wurden daher wie er selber verehrt und gegrüßt.
Bald erfuhr der Altar eine Unzahl von Deutungen: als Symbol Christi und der von ihm gestifteten Kirche; als Symbol des Kreuzes Christi, seiner Krippe, des Grabes, sowie des Abendmahltisches; und schließlich als Sinnbild des Glauben und des Herzens. In den Schriften des Ostens versuchte man eine Interpretation im eschatologischen Sinn, in Anlehnung an die Geheime Offenbarung (6,9;8,3;11,1) als Bild des himmlischen Altares wie des Thrones Gottes.
Die mittelalterliche Symbolik bemächtigte sich in der Folge auch der verschiedenen Gegenstände, die mit ihm in Zusammenhang standen: die Altartücher wurden als Sinnbild des Leichentuches Christi angesehen oder, nach Beda Venerabilis - als die Heiligen Christi... Das Altarkreuz wurde zum Sinnbild Christi, die Leuchter zu Symbolen Christi, der jeden erleuchtet, der in diese Welt kommt; daneben bemächtigte sich die mittelalterliche Symbolfreudigkeit noch verschiedener anderer Geräte - so des Kelches als Grab Christi, des Rauchfasses als Fleisch Christi, des Tabernakels als Zelt Gottes, der Hostienkapsel als Leib der Gottesmutter Maria usw.
Von Anfang an stand in jedem gottesdienstlichen Raum nur ein Altar. Während der Osten am Prinzip der Einheit des Altares immer festhielt, bahnte sich im Westen im 6. Jahrhundert eine Änderung an: unter Gregor I., der Große, (590-604) ließ Bischof Palladius von Saintes in einer einzigen Kirche 13 Altäre errichten.
Nach altem römischen Recht galt ein Grab als unverletzlich. Daher ließ die um die Wende zum 3. Jahrhundert einsetzende Reliquienverehrung die Altäre zu den Märtyrergräbern wandern - die Symbolik war klar: man feierte das Opfer der Kirche dort, wo Menschen durch ihre Selbsthingabe Christus am meisten ähnlich geworden waren. In nachgregorianischer Zeit übertrug man die Reliquien allmählich aus den alten Coemeterien in die Stadtkirchen und versenkte sie in den Unterbau der Altäre, später auch in die Altarplatten. Schon im 6. Jahrhundert galt es allgemein als notwendig, daß zu jedem Altar auch eine Reliquie gehörte.
Seit dem 3. Jahrhundert ist bezeugt, daß der Altar für die Eucharistie mit einem Leinentuch bedeckt wird. Eusebius von Cäsarea berichtet, daß der Altarraum der 314 eingeweihten Kirche von Tyrus mit hölzernen Schranken umgeben war, damit die "Menge" ihn nicht betrete. Nur Kleriker hatten Zutritt. Ungetaufte durften ihn nicht berühren.
Seit dem 3. Jahrhundert war auch die Gebetsrichtung nach Osten zu einem konfessionsunterscheidenden Merkmal zwischen Christen und Juden geworden. Beteten Juden stets in der Richtung auf den Tempel zu, so beteten Christen stets gegen Osten, wo sie den wiederkommenden Herrn erwarteten.
Da die Kirchen in der Regel geostet waren, änderte sich dadurch die Disposition des Altarraumes: die Kathedra des Bischofs oder der Sitz des Presbyters verlagerte sich infolge der Gebetswendung aus dem Scheitel der Apsis auf die sogenannte Evangelienseite. Ihm gegenüber fanden die Kleriker ihren Platz. Der Altar rückte von seinem Platz nahe beim Volk, am Eingang der Apsis, nun immer weiter in die Apsis hinein und ist seit dem Frühmittelalter mit der Ostwand des Chores verbunden. Die Apsis war zum "Chor" geworden. Daher ist die Bezeichnung "Chor" seit dem Mittelalter Synonym für "Altarraum" geworden und bis heute geblieben.
Von nun an bot sich die große Rückwand des Chores geradezu an, den Altar in seiner Bedeutung zu unterstreichen. Seit der Jahrtausendwende wurden hinter dem Altar Bilder und Reliefs - Retabel - angebracht, auch Leuchter und Blumen. Sehr früh stellte man dort auch Reliquien auf.
Mit dem Aufkommen der Privatzelebration in karolingischer Zeit wuchs auch die Zahl der Nebenaltäre in den Kirchen.
Damit wurde etwa seit dem 13. Jahrhundert die Symbolik des Altares als Tisch für die gemeinsame Feier der Eucharistie immer mehr verdunkelt. Die in der Zeit der Romanik auf dem rückwärtigen Teil der Mensa aufgesetzten Retabel wurden in der Gotik ausgebaut, sodaß der Altartisch zur Zeit der prächtigen Flügelaltäre allmählich nur mehr zum Postament für viel bewunderte Schöpfungen der bildenden Kunst wurde.
In der bildlichen Themenwahl dieser Altarblätter kam die ganze Breite der christlichen Ikonographie zur Geltung. Am häufigsten wurde der Heilige dargestellt, dem die Kirche oder der Altar geweiht war, dessen Reliquien darin geborgen waren.
Das 19. Jahrhundert schloß an alte, vor allem mittelalterliche Vorbilder an.
In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts wurden die Kirchen allgemein, allzu viel Zierrates überdrüssig, ausgeräumt. Der Altar aber blieb weiterhin Wandkonsole. Man versuchte, ihm durch bühnenartige Erhöhung über das Kirchenschiff Würde und Bedeutung zu verleihen und entfernte ihn dadurch vollends vom Volk.
Die liturgischen Bewegung der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts sprach sich - aus pastoralen Gründen - mit Nachdruck für einen freistehenden Altar in Tischform aus, wie er in den ersten Jahrhunderten vorherrschend war und bedauerte die Vielzahl der Altäre, die verwirrten und ablenkten.
Mit dem Konzil kam die große Wende. In der LK vom 4.12.1963 forderte dieses eine unverzügliche Revision der geltenden Bestimmungen über Gestalt und Errichtung der Altäre. Und die erste Instructio zur Durchführung der LK vom 26.9.1964 veröffentlichte bereits konkrete Änderungen: "Der Hochaltar soll von der Rückwand getrennt errichtet werden, so daß man leicht um ihn herumgehen und an im zum Volk hin zelebrieren kann. Er soll so in den heiligen Raum hineingestellt sein, daß er wirklich die Mitte ist, der sich von selbst die Aufmerksamkeit der ganzen versammelten Gemeinde zuwendet..." Und es solle nur wenig Nebenaltäre geben, in neuen Kirchen solle man nur einen einzigen Altar errichten.
Somit wurde durch das Konzil wieder der "heilige Tisch" in das Zentrum des Kirchenraumes als Sinnbild Christi und des Abendmahltisches gerückt. Der Altar wurde nicht länger als ein Stück Mobiliar des Presbyteriums gesehen, sondern als der Ort, auf dem das neutestamentliche Opfer gegenwärtig wird. Auch außerhalb der Meßfeier war der Altar im Kirchenraum Symbol des einen Opfers Christi, ja, er symbolisiert Christus selbst und ist damit das ideale Zentrum des Kirchenraumes.
Im Jahr 1137 betrat St. Stephan die Bühne der Kirchengeschichte. Über die innere Ausstattung der beiden romanischen Vorgängerbauten des 12. und 13. Jahrhunderts können wir nur Vermutungen anstellen. Die Quellen des Hochmittelalters erzählen nichts über Zahl, Aussehen und Patrone der Altäre.
Der Hauptaltar des Mittelschiffes war dem Kirchenpatron, dem hl. Stephanus, geweiht. Er wird in den mittelalterlichen Quellen häufig auch Vronaltar genannt, weil sich das Sakramentshäuschen in unmittelbarer Nähe befand. Es muß sich um einen großen Flügelaltar gehandelt haben, denn aus den Kirchenmeisteramtsrechnungen des 15. Jahrhunderts erfahren wir, daß z.B. um das Jahr 1437 für das Öffnen und Schließen der "großen Tafel" des altare St. Stephani dem "Stephan, dem glaser" ein Jahressold bezahlt wurde.
In der Mitte des Mittelchores erhob sich der 1334 vom damaligen Wiener Pfarrer Heinrich von Luzern gestiftete und mit einer kostbaren Marienstatue versehene Gottsleichnamsaltar, von dem aus die damals in Wien bereits traditionell abgehaltene Fronleichnamsprozession ihren Ausgang nahm. Später verband Rudolf der Stifter sein Grabmal, das er in der Mitte des Chores errichtete, mit diesem Altar.
Zu den ältesten Altären von St. Stephan zählten weiters der schon 1336 urkundlich genannte, mit zahlreichen Messen bestiftete Apostel- oder Zwölfpotenaltar, im südlichen Teil des Chores - etwa an der Stelle, wo sich heute das Friedrichsgrab erhebt - und, als Gegenstück dazu im nördlichen Chor, der 1340 erstmals erwähnte Frauenaltar. Zu diesem Altar könnte die sagenumwobene Dienstbotenmuttergottes, aus der Zeit um 1320/30, gehört haben.
In dieser Zeit, in den Jahren 1476-87, schuf der Bildschnitzer und Leiter der Passionsspiele bei St. Stephan, Wilhelm Rollinger, das 1945 verbrannte alte Ratsherrengestühl im Mittelchor, mit einer ausführlichen szenischen Abfolge der Leidensgeschichte Christi, das für die Mitglieder der Kapitels, für die Curgeistlichkeit und wohl auch für den neuen Bischof - Wien war seit 1469 Bistum - bestimmt war. Das Bild vom letzten Abendmahl stammt von ihm.
Nachdem die Hauskommunion der alten Kirche abgekommen war, wurde es nötig, die Eucharistie in oder bei der Kirche aufzubewahren, wahrscheinlich bald allgemein in der Sakristei, die davon ihren Namen ableitet. Anfangs hatte man die Eucharistie in Form von Hängegefäßen oder eucharistischen Tauben aufbewahrt. Aus Sicherheitsgründen ging man aber bald dazu über, Wandtabernakel, meist an der Evangelienseite des Chores vorzusehen. In St. Stephan erinnert der Name "vronaltar" für den Hochaltar daran. Diese Wandtabernakel rückten dann vielfach aus der Wand heraus und wurden zu oftmals großartigen Sakramentstürmen.
Schon seit dem frühen 13. Jahrhundert begann man, die Hostien, ähnlich den Schaugefäßen für Reliquien, in gleichen Ostensorien sichtbar zu machen. Diese gotische "Schaufrömmigkeit", das heißt, das Verlangen, die Hostie anzuschauen, wurde ein bedeutsamen und folgenreiches Phänomen der Sakramentsverehrung. Ausgangspunkt dafür war die seit ca. 1200 aufgekommene "große Elevation" jeweils nach der Konsekration, Wandlung, als Akt des Glaubens an die wahre Gegenwart des Herrn. Die Aussetzung des heiligen Brotes in Monstranzen kam einer Verlängerung dieser Elevation zum Zweck der Anbetung gleich. Hier hat auch die Fronleichnamsprozession ihren Ursprung. Die Monstranz mit dem "hochwürdigsten Gut" galt aber auch als das wirksamste Mittel zur Abwehr böser Geister oder auch realer Feinde. (Siehe die hl. Klara, die mit erhobener Monstranz die Sarazenen von ihrem Kloster vertrieb!)
Diese extensive Schaufrömmigkeit, die manchen heute nicht so leicht verständlich ist, hatte aber auch einen erschütternden Grund: Der mittelalterliche Mensch war fromm. Und als ihm der Zugang zur Eucharistie durch vielerlei rigorose Forderungen verwehrt war, war das Anschauenwollen des heiligen Brotes geradezu ein Ventil seines Verlangens nach dem Sakrament. So war die sogenannte "geistliche Kommunion" auch eine ernste Anfrage an eine falsch gelenkte Sakramentenpastoral.
Die Geschichte liefert den Beweis: Immer in Zeiten, da den Gläubigen die Teilnahme am eucharistischen Mahl erschwert wurde, im Hochmittelalter, wie in der Zeit des Jansenismus, hat die Anbetung der Eucharistie die ausgeprägtesten Formen angenommen. Nachdem das Konzil von Trient ausdrücklich Kult und Verehrung der Eucharistie empfohlen und darüber hinaus den engen Zusammenhang von heiliger Messe und Anbetung betont hatte, lag es nahe, den Tabernakel mit dem Altar zu verbinden. Man wollte Christus nahe sein oder ihn gar schauen können, und zwar nun auf dem Altar.
Papst Pius X. hat dann den Tabernakel für das gläubige Volk wieder geöffnet und alle zum Empfang der Kommunion ermuntert. Damit wollte er zeigen: wichtig ist die Ausgewogenheit zwischen Teilnahme am Mahl und Verehrung - beides ist gleich notwendig!
Aber nun zurück zur Gottsleichnamsbruderschaft. Diese hatte sich die besondere Förderung der Verehrung der Eucharistie zur Aufgabe gemacht. Ihre Anfänge liegen im Dunkel. Um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert wäre sie fast eingegangen. Ihr Erneuerer war der angesehene Wiener Ratsherr Matthäus Heuperger, der sich auch um die Herausgabe des Heiltumbüchleins von 1502 große Verdienste erworben hatte. Wir haben daraus das Tischtuch-Reliquiar gesehen.
Im Jahr 1507 reiste er gemeinsam mit drei anderen Wiener Bürgern nach Rom und erbat von Papst Julius II. die neuerliche Bestätigung der Bruderschaft. Diese sollte fortan einen dreifachen Zweck verfolgen, nämlich die Hebung der Sakramentsverehrung, materielle Hilfe für die Armen und Gebetshilfe für die Armen Seelen im Fegefeuer. Weiters bestimmte der Papst, daß die Mitglieder der Bruderschaften an jedem Donnerstag eine feierliche Prozession mit dem Allerheiligsten unter Absingung von Hymnen und Liedern halten sollten und zwar entweder in der Kirche oder auf dem Stephansfreithof um den Dom. Diese Bruderschaft war auch der Träger des großen Wiener Passionsspieles am Fronleichnamstag, bei welchem ungefähr 200 bis 300 Personen das Leiden des Herrn vom letzten Abendmahl bis zur Grablegung darstellten. Die Rechnungsbücher der Bruderschaft überliefern uns ein unglaublich lebendiges, reichhaltiges und farbenfrohes Spiel - so gab es einen Palmesel auf Rädern, eine bewegliches Kruzifixfigur, und vor allem eine Unzahl von Rüstungen und Fahnen. Das Interesse und die Anteilnahme der Wiener Bevölkerung war unglaublich groß.
Die Zeit der Reformation ging auch an der Bruderschaft nicht spurlos vorüber, gegen 1530 erlosch ihr Leben. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts hörten in Wien die Fronleichnamsprozessionen auf.
Zu neuem Leben erweckt wurde die Bruderschaft durch den 1574 zum Wiener Bischof ernannten Freiburger Universitätsprofessor J.C.Neubeck, der ihr 1577 auch Statuten gab. Im Jahr 1695 bildete sich innerhalb der Bruderschaft die Bruderschaft der 72 Jünger, die die Verehrung des Altarsakramentes noch intensivierte. Die Verehrung der Eucharistie hat in Wien eine lange Tradition.
Ein aus dem Jahr 1533 stammendes Verzeichnis der Meßstiftungen an der "Thumbkirchen" zu St. Stephan führt 28 Altäre an, an denen Meßstiftungen bzw. Benefizien bestanden und spricht von insgesamt mindestens 420 gestiftete Messen - und ist damit ein eindrucksvolles Zeugnis für den Reichtum des Stiftungs - und Benefizienwesens bei St. Stephan am Ausgang des Mittelalters, das natürlich auch seine Auswirkungen auf die große Zahl der Altäre hatte. Einen tiefen Einschnitt brachte auch hier die Reformation. Das 16. Jahrhundert war geprägt durch Türkennot und Glaubenskampf.
Nach dem Ende der Religionskriege durch den Westfälischen Frieden verband sich eine neu erwachte Freude am Glauben mit der Kunststilepoche des Barock, das in zwei Wellen in St. Stephan Einzug hielt, beginnend im Jahr 1641 im Mittelchor, - als gegenreformatorisches Programm.
Genau diese Situation, als die letzten Reste der mittelalterlichen Kircheneinrichtung verschwanden, hat ein Augenzeuge beider Altarlandschaften, der mittelalterlichen, die wir ja nicht mehr kennen, und der barocken, die uns nach wie vor umgibt, gewissenhaft wiedergegeben: der Wiener Domherr Johann Matthias Testarello della Massa, + 1693, hat uns die älteste ausführliche Beschreibung der Domkirche hinterlassen. Er beschreibt 38 Altäre, von welchen sich allerdings viele schon mehr als zweihundert Jahre in St. Stephan befanden, und zwar in der Ordnung, "wie man sie am Gründonnerstag nach der Nachmittagspredigt abzukleiden und zu waschen pflegt."
In einer zweiten Welle, ungefähr ab 1700, wurden hochbarocke Altäre im Langhaus den Pfeilern kulissenartig vorgesetzt, wodurch sich ein Anhalten das Raumflusses ergab, gleichsam ein Innehalten bei den kleinen "Inseln der Andacht". Einst richtete sich die Andacht hinauf zu den Gewölben und Pfeilerfiguren, nun nahm das bunte Altarbild die Sinne gefangen und lenkt hin zum Glaubensinhalt.
Ich bitte um Verständnis, wenn ich aufgrund der knappen Zeit nicht einzeln auf alle Altäre eingehen kann; aber wir sind ja auch nicht in einer kunstgeschichtlichen Vorlesung. Sie haben hoffentlich alle einen Lageplan des Domes mit den wichtigsten Informationen über die Altäre in Händen. Sie sind eingeladen, einmal in Ruhe diese Orte der Andacht zu besuchen, die gewissermaßen die Biblia Pauperum von den Pfeilern in den Kirchenraum hinunter erweitern und ergänzen. Wir wollen das bunte Bild einfach auf unsere Seelen einwirken lassen.
Im Jahr 1779 zählt der Curpriester Joseph Ogesser in seiner "Beschreibung der Metropolitankirche zu St. Stephan in Wien" 39 Altäre und erzählt auch, soweit ihm bekannt, deren Herkunft und Stifter. Viele von ihnen waren von Adeligen, andere von angesehenen Bürgern gestiftet, an und bei ihnen entfaltete sich ein reges kirchliches Leben: so versammelte sich zum Beispiel - um nur einige zu nennen - beim Sebastianialtar
Cäcilienaltar, Franz Seraphicus-Altar, Herz Jesu-Altar, Maria Pocs, Nepomuk-Altar, Karl Borromäus-Altar. - Dieses bunte Leben vor Augen, wird auch die große Zahl der Messen erklärlich, die bei St. Stephan im 18. und 19. Jahrhundert gelesen wurden.
Diese Zahlen vor Augen, wundert es nicht, daß Kaiser Joseph II. im Jahr 1783 "von einigen Unmöglichkeiten der Messen" bei St. Stephan spricht und "dem Herrn Ordinario (damals Kardinal Migazzi) zu Gemüth führt, daß die Vielheit der Messen beinahe zu jeder Minute ein unanständiger, nach und nach eingeschlichener Mißbrauch sei, daß man oft bei den vielen Messen, so zugleich sind, nicht wisse, wo man sich bei der Wandlung hinwenden solle oder welchem Altare man den Rücken zu kehren dürfe, wenn von allen Seiten die Wandlungsglöckchen läuteten." Der Bau der Stephanskirche selbst, bei welcher man zunächst wegen des großen Zulaufs an Volk drei Messen zu gleicher Zeit in den drei Schiffen beantragt habe, beweise eigentlich, so wurde argumentiert, daß "ehemals nicht so häufig Meß gelesen wurde, indem der Hochaltar (der Markusaltar) vor Zeiten bei dem eisernen Gitter gestanden hatte."
Der Kaiser nahm damit eigentlich eine Entwicklung voraus, die das Zweite Vatikanum später vertreten sollte. Im 19. Jahrhundert kamen, im Anschluß an mittelalterliche Vorbilder, Gedanken auf, die auf eine stilgerechte Wiederherstellung der Einrichtung des Domes mit gotischen Altären zielten. Die Ansichten darüber gingen allerdings auseinander, Erzbischof Milde fand vor allem den Hauptaltar nicht für die Kirche passend, störend auch alle Pfeileraltäre im Hauptschiff, "welche in keinem erhabenen, mit der Kirche harmonisierendem Stile erbaut sind". Zum Glück, muß man heute sagen, bewilligte die Hofkammer nicht die von Erzbischof Milde beantragte Unterstützung zum Umbau.
In den Jahren 1965 bis 1989 wurde das Presbyterium mit dem Hochaltar - entsprechend den Richtlinien des II. Vatikanischen Konzils - in drei Phasen um- und neugestaltet. Nach zwei hölzernen Vorgängern steht nun der Hauptaltar aus Marmor im Zentrum. Seit der Errichtung dieses neuen "Volksaltares", oder besser: Hauptaltares, ist dieser das Zentrum der Eucharistiefeier. Den alten Hochaltar krönen seit dem Jahr 1989 sieben vergoldete barocke Leuchter als Symbol der sieben urkirchlichen Diakone.
Der nach dem Krieg errichtete Tabernakel des Hochaltares, der nie als Aufbewahrungsort für die Eucharistie verwendet worden war, da zumeist der Wiener Neustädter Altar als Sakramentsaltar gedient hatte, wurde an den Platz der ehemaligen Kathedra versetzt und beherbergt heute die heiligen Öle.
Gegenwärtig werden in St. Stephan an Sonn- und Feiertagen neun Gottesdienste gefeiert - neben dem Hauptaltar in der Regel nur noch auf dem Herz-Jesu-Altar und bei Maria Pocs, in der Unterkirche und fallweise in der Katharinenkapelle. Das mag im Vergleich zu der Vielzahl vergangener Jahrhunderte bescheiden klingen, aber trotzdem gilt noch immer: Seit 850 Jahren wird an den Altären in St. Stephan ohne Unterbrechung Eucharistie gefeiert.
Der Altar ist Sinnbild Christi und Zentrum des Opfermahles, der Eucharistie, zu deren gemeinschaftlicher Feier sich die Gläubigen versammeln.
Der Tabernakel ist Symbol der dauernden Gegenwart Christi bei seiner Braut, der Kirche. Vor ihm finden sich die Gläubigen zum persönlichen Gebet und zur Verehrung Gottes ein. Kranken und Sterbenden, die nicht mehr kommen können, birgt er die Speise, die ihnen Kraft und Stärkung sein soll.
Eucharistie ist existentiell nur möglich in Glaube, Liebe und Selbsthingabe. In der Feier der Eucharistie begibt sich das gläubige Gottesvolk mit Christus in das Opfer seiner Selbsthingabe mit hinein. Dadurch erst wird die Messfeier Quelle, Mittel- und Höhepunkt des Lebens. Paulus sagt es im Römerbrief (12,1): "...so ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt..."
In der alten Kirche waren die Agape-Feiern zugleich Armenbetreuung, Caritas; in diesem Sinn sollte auch heute die Feier der Eucharistie die Liebe und den Glauben wecken, und zwar über die Dauer der Messfeier hinaus, als Symbol der Gesinnung der Gemeinde, die sichtbar wird in der ganzen Lebenshaltung, immer auch ausgerichtet auf den Nächsten. Das hält aber nur durch, wer sich fest verankert weiß im Glauben an die Liebe Christi, wer sich einlässt auf einen lebenslangen Lernprozeß, der - schweigend und anbetend - in die Tiefen des Bewusstseins führt, wo menschliche Sinnerfüllung möglich wird.
Einfach ausgedrückt: den Nächsten lieben kann nur, wer mit Gott in Verbindung bleibt und eine verlässliche Übung dafür ist die Anbetung. Das ist, wie Kardinal Schönborn in seinem Hirtenbrief zum Jahr der Eucharistie betont, "in dieser Zeit, in der die Nöte schneller wachsen als die Wirtschaft" eine besondere Herausforderung an uns Christen. Der vertraute Umgang mit Christus gibt uns die Kraft dazu. Und wo immer wir liebevollen Umgang mit unseren Nächsten pflegen, dort wächst auch der vertraute Umgang mit Christus und umgekehrt.
Und was auf und um diesen Altar geschieht, ist ein Geheimnis. Wenn wir den Abendmahlstisch betrachten, wie ihn der begnadete Künstler des alten Chorgestühls geschaffen hat, dann spüren wir die Gemeinschaft der um einen niedrigen Tisch eng zusammengerückten Versammlung, alle ganz auf Christus bezogen, nur einer wendet sich ab... ich glaube, das ist das Geheimnis: Gemeinschaft der Geschöpfe im Schöpfer - die Kraft dazu schenkt uns immer und immer wieder die Eucharistie. Und es muß eine ungeheuer große Kraft sein.
Kardinal Innitzer gab den nichtarischen Christen seiner Hilfsstelle auf ihren Weg nach Theresienstadt und Auschwitz in einer kleinen Büchse konsekrierte Hostien mit, damit sie den Weg in die Dunkelheit nicht alleine antreten mussten.
Für mich persönlich bleibt ein bewegender "Beweis" für die Kraft des Geheimnisses der Eucharistie Kardinal König. Nur wenige Tage vor seinem Tod, als er meist schon mit geschlossenen Augen nach innen schaute, sagte er nach einer heiligen Messe, in der er ab der Wandlung seine Augen offen hielt und in der er auch die Kommunion unter beiden Gestalten empfangen konnte, mit fester Stimme: "Daraus lebe ich!"
Ein Geheimnis ist ein Geheimnis. "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen", hat Ludwig Wittgenstein - nicht ganz unumstritten - am Schluß seines "Tractatus logico-philosophicus" - 1922 festgestellt und damit alle Metaphysik für sinnlos erklären wollen.
Jahrhunderte zuvor hat genau das ein anderer begriffen und es - allerdings in einem ganz anderen Sinn - ausgelegt: einer der größten Gelehrten seiner Zeit, Thomas von Aquin, dessen bücherregalfüllende "Summa theologica" fast jede Frage der Theologie zu beantworten sucht, der sein ganzes Leben nichts anderes getan hatte, als zu versuchen, Gott zu erklären mit dem Intellekt, - er verstummte am Ende vor dem Geheimnis.
Von ihm wird erzählt, daß ihm am Ende seines Lebens alle theologische Gelehrsamkeit fragwürdig geworden war im Vergleich zu dem, was er während eines mystischen Erlebnisses bei der hl. Messe am 6. Dezember 1273, also morgen vor genau 731 Jahren, geschaut hatte. Er legte die Feder aus der Hand und schrieb und lehrte bis zu seinem Tod am 7. März 1274 nichts mehr. Aus der Anbetung war seine Theologie gekommen, im anbetenden Schweigen endete sie. "Das größte der Wunder Christi" nannte er das Geheimnis der Eucharistie und von ihm stammt das Gebet "Adoro te, devote, latens Deitas" - "Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir..."
Etwas anderes können auch wir hier nicht tun, als still werden vor dem geheimnisvollen Gott und ihn um seinen Segen bitten!