Mittwoch 17. Juli 2024
Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hergab.
Joh. 3,16
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Evangelium: Joh 15,1-8

Jahr für Jahr kommen wir hierher auf den Josefsplatz mit der Fronleichnamsprozession. Was tun wir hier? Eine Manifestation religiöser Tradition? Ein Schauspiel einer vergangenen Epoche? Ein Überrest des einstmals staatskirchlich katholischen Österreichs?

Vorsicht mit solchen Urteilen! Wenn auch vieles am traditionellen Katholizismus im Wandel, zum Teil auch im Absterben ist, so boomen andererseits Ausdrucksformen der klassischen Volksreligiosität, die schon als längst überholt galten. Ich denke hier besonders an das Wallfahren, das zurzeit geradezu „boomt“. Was würde Kaiser Joseph II. dazu sagen, dem das üppige Wallfahrtswesen ein Dorn im Auge war? Religion hatte sich vor allem als praktisch zu erweisen, als nützlich für das Wohl der Bürger und des Staates. Klöster, die sich vor allem dem Gebet widmeten, wurden aufgehoben, da nicht einsehbar war, welchen praktischen Nutzen sie bringen können.

Das Gleichnis vom Weinstock und den Rebzweigen wäre in Josephinischer Zeit wohl Anlass gewesen, über den Nutzen des Weinbaus zu predigen und einige moralische Hinweise auf den Schaden von zu wenig maßvollem Genuss von Wein zu geben, im Sinne der Religion als Volkserziehung, als moralischer Anstalt.

So sehr wir heute darüber lächeln, so nahe sind uns heute die Versuchungen des Josephinismus. Es herrscht in Österreich immer noch die typisch josephinische Tendenz, Religion nach dem Maß ihrer ersichtlichen sozialen und gesellschaftlichen Nützlichkeit zu bewerten. Und dabei spielen wir als Kirche durchaus eifrig mit, indem wir die Wichtigkeit der Kirche vor allem nach ihrem Nutzen für Staat und Gesellschaft anpreisen. Und da lässt sich ja durchaus eine gute Erfolgsbilanz vorweisen. Und diese vorzulegen, tut uns auch seelisch gut nach all den bitteren Monaten des Themas Missbrauch.

Ich nenne, durchaus dankbar und mit einem gewissen Stolz, einige Punkte dieser „Erfolgsbilanz“:

  • Das riesige Engagement so vieler Ehrenamtlicher in der katholischen Kirche in Österreich, vielfach mit greifbarem Nutzen für die Allgemeinheit;
  • Die guten katholischen Schulen, die nicht nur den Staat finanziell entlasten, sondern auch wegen ihres Standards sehr gefragt sind;
  • Die Leistungen der Caritas, ohne die das Sozialsystem unseres Landes überfordert wäre;
  • Was wäre unser Land ohne die kirchlichen Kulturgüter, was wäre Österreich ohne „Klösterreich“? Die touristische Attraktivität des Landes ist zu einem guten Teil diesem Erbe zu verdanken…
  • Die Entwicklungshilfe hat in den kirchlichen Organisationen ihre stärkste Lobby, ohne die wir noch viel weiter von den Millenniumszielen (0,7% des BNP für Entwicklungshilfe) entfernt wären.

Viele andere Punkte ließen sich in dieser Nützlichkeitsbilanz der Kirche nennen. Deshalb sehen wir auch mit Dankbarkeit Zeichen der Wertschätzung und Anerkennung von Seiten des Staates, wie etwa die jüngst beschlossene wesentliche Erhöhung der Absetzbarkeit des Kirchenbeitrags. Wir sind überzeugt davon, dass das kein „Privileg“ für die Kirchen darstellt, sondern die Anerkennung ihres Beitrags zum Wohl des Ganzen.

Mit Freude haben wir deshalb auch die beiden Urteile in der Kreuzfrage registriert: sowohl vom Obersten Gerichtshof in Österreich wie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Und ebenso freudig begrüßen wir die vor drei Tagen in Brüssel erfolgte Gründung einer europaweiten Allianz für den Sonntag, die Kirchen und viele gesellschaftliche Kräfte bündelt.

Und doch muss ich hier ein großes ABER sagen. Religion, Glauben, Kirche als Glaubensgemeinschaft, darf sich nicht selbst nur von ihrem Nutzen her verstehen. Der glühende Kern der Religion ist das zweckfreie Geheimnis, und wenn sie nicht mehr aus diesem Geheimnis lebt, dann ist ihr glühender Kern erloschen. Dann wird sie zu einer rissigen Zisterne, die das Wasser nicht hält, wie der Prophet Jeremia sagt.

Was wir hier, im Angesicht der Statue Kaiser Josephs II. tun, ist zwecklos, aber sinnvoll. Es hat nur einen Sinn: das Geheimnis anzubeten, das in diesem kleinen Stück Brot Gegenwart ist. Dios solo basta, sagt Teresia von Avila, in ihrem berühmten Gedicht: Nada te turbe: Gott genügt, er allein! Nichts beunruhige dich! Anbetung braucht keine soziale Rechtfertigung. Sie hat Sinn in sich. Jesus Christus, wahrhaft gegenwärtig im Sakrament, vere, realiter, substantialiter, wie die Lehre der Kirche sagt: Wahrhaft, wirklich, wesenhaft ist Jesus hier gegenwärtig. Dieses Geheimnis anzubeten, bedarf keiner Nützlichkeitsbilanz. Es ist sinnvoll in sich, den anbetend zu verehren, der sich für uns in solcher Hingabe verschenkt, der mit uns so eng verbunden sein will wie der Weinstock mit den Rebzweigen, Er, der uns bittet: „Bleibt in mir, wie ich in euch“. Ohne diese vitale Verbundenheit ist alles Nützliche hohl und ohne Tragweite: „…denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“.

Gott um Gotteswillen suchen! Jesus Christus verehren und anbeten in der Gestalt seiner eucharistischen Gegenwart: das ist der Sinn des heutigen Tuns, der lebendige Kern dieser hier gepflegten Tradition.

Diese Haltung der zweckfrei geschenkten Anbetung hat freilich zwei wichtige Nebeneffekte, die nicht beabsichtigt, aber umso wichtiger sind:

  1. Dass wir loslassen von diesem manchmal peinlichen Selbstrechtfertigungsritual. Gewiss, die Christen, die Kirchen leisten viel für die Gesellschaft, und es ist gut, wenn das auch anerkannt wird. Aber wir dürfen uns nicht einbilden, dass wir deshalb die Einzigen und die Besten sind. Die säkulare Gesellschaft hat hervorragende Schulen, gute Spitäler, großartige Sozialeinrichtungen ohne religiöse Motivation. Was uns Christus, der Meister in unserer Mitte, dazu lehren kann, ist die Bescheidenheit und dankbare Anerkennung all des Guten, das ohne viele Worte getan wird. Für alle diese „säkularen“ Samariter (vgl. das Gleichnis Jesu!) gilt Jesu Wort: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25, 40).
  2. Und zweitens folgt aus der Haltung der selbstlosen Anbetung des Geheimnisses eine innere Freude, die Freude an Gott selber, die hilft, alle Widrigkeiten zu ertragen, die in keinem Leben fehlen. Letztlich macht die selbstvergessene Anbetung des Geheimnisses frei, frei von uns selber, frei vor Gott, frei für den hingebungsvollen Dienst am Nächsten. Um diesen Dienst ging es Kaiser Joseph bei seinen Reformen. Der unerschöpfliche Quell dieser Hingabe ist das Geheimnis Gottes in Jesus Christus. Unser Tun heute, diese zweckfreie Prozession, diese Momente der Anbetung, halten die Quelle zugänglich, aus der unserer Gesellschaft frische, neue Kraft zufließt.
Kurzansprache am Graben

Evangelium: Mk 12,28b-34

„Und hätte die Liebe nicht…“ Sie   kennen alle das „Hohelied der Liebe“ bei Paulus (1 Kor 13): Hätte ich alle Werke der Caritas getan, alle Hilfeleistungen für die Notleidenden, alle Spenden für Katastrophen…

… und hätte die Liebe nicht… es wäre hohl und leer.

Am Ende des Tages, am Abend des Lebens zählt nur eines: war Liebe in Deinem Tun?

„Wir beten an die Macht der Liebe“: hier in der ohnmächtigen Brotgestalt: Jesus selber, den die Liebe zum Hingeben des Lebens bewog. Hier ist seine Liebe für uns Brot zum Leben geworden!

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