Mittwoch 17. Juli 2024
Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hergab.
Joh. 3,16
Predigten von Kardinal Christoph Schönborn

Es ist klar, warum wir bei der Fronleichnamsprozession immer das Evangelium von der Brotvermehrung hören. Die Speisung der 5.000 mit nur fünf Broten und zwei Fischen, das deutet voraus auf das Geheimnis der Eucharistie. Die zwölf Körbe, die übrig bleiben am Schluss - zwölf Körbe von nur fünf Broten! -  ist ein Zeichen des Überflusses, der nicht begrenzten Großherzigkeit des Herrn, der sich uns durch all die Jahrhunderte und auch heute zur Speise gibt. Heute ist die Eucharistie, das Brot des Lebens, im Mittelpunkt. Wir tragen den Herrn in seiner eucharistischen Gegenwart auf die Straßen und dieses Bekenntnis zur seiner wahren, realen Gegenwart, wenn auch verborgen in der Brotsgestalt, ist ein Herzstück unseres Glaubens. Und wir bitten um den Segen des Herrn für diese Stadt, für unser Land, für alle Menschen.

Eucharistie und Leben, das gehört untrennbar zusammen. Und das zeigt in besonderer Weise das Evangelium von der Brotvermehrung. Vergegenwärtigen wir uns die Szene: Jesus wollte mit seinen Jüngern an einen einsamen Ort gehen, um sich ein wenig auszuruhen. Heute würde man sagen, um ein "verlängertes Wochenende" zu machen. Sie fahren los per Boot, aber man hat sie entdeckt. Die Menschen strömen in Massen am Ufer entlang und ehe Jesus und seine Freunde mit dem Boot landen, ist das Ufer schwarz von Menschen. 5.000 Männer, Frauen und Kinder nicht dazugezählt, sagt der Evangelist Matthäus, also waren es noch einmal viel mehr, wenn man die Frauen und Kinder zählen würde, die auch heute so zahlreich dabei sind. Was die Jünger dabei gedacht haben, sagt der Evangelist nicht, aber wir können es uns lebhaft vorstellen: Begeistert waren sie nicht von diesem "verlängerten Wochenende". Jesus aber hat eine ganz andere Einstellung.

Mich bewegt die Frage, wie ging das so schnell, so viele Leute zusammen zu bringen. Damals ohne Handy und ohne Facebook haben sie einfach schnell 5.000 Menschen zusammen gebracht. Der stille Ort ist nicht mehr still. Aber Jesus hat einen ganz besonderen Blick auf diese vielen, viele Menschen: "Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben". Das Erbarmen Jesu, das Mitleiden Jesu, seine Sympathie, seine Empathie, sein Mitgefühl: Das bleibt für uns Christen durch alle Jahrhunderte das große Vorbild, das Richtmaß, die Richtschnurr. Wo sichtbar wird, dass Menschen diese Haltung Jesu leben, versammeln sich die Leute. Ich denke an eine Mutter Teresa. Ich denke an so viele prägende christliche Gestalten. Sie haben sofort Menschen um sich gesammelt, weil man in ihnen die Gegenwart Jesu gespürt hat. So soll es sein. Das wissen wir. Das spüren wir.

Jesu Haltung ist Maßstab, aber auch eine enorme Herausforderung und das bis heute. Im Evangelium wird sie sogleich greifbar an dem, was die Jünger an diesem langen Tag tun. Wie groß die Herausforderung Jesu ist! Jesus redet lange, die Menschen hören zu und am Abend sind die Jünger müde und haben Hunger. Und aus Barmherzigkeit sagen sie: "Die Leute haben Hunger". Und sie machen etwas, was immer eine Gefahr für die Kirche ist, wenn sie nur um sich selber kreist: "Schick die Leute weg!" Mich erschüttert dieses Wort immer, weil es so genau das Gegenteil von dem ist, was Jesus mit den Menschen macht. Sie kommen zu ihm. Die Jünger sagen:"Schick die Leute weg". Ach, wie wir sie verstehen können, sie wollten endlich ein bisschen Ruhe haben, ein bisschen unter sich sein. Jesus antwortet kurz und bündig und das ist wie ein Schock: "Gebt ihr ihnen zu essen!" Eine totale Überforderung, unmöglich! Wie soll man an diesen einsamen Ort für 5.000 Menschen Brot herschaffen? Ein Jahresgehalt eines Arbeiters reicht nicht, um das Minimum zu bezahlen.

Was haben sie? Nichts, fünf Brote, zwei Fische, was ist das? Aber sie geben das Wenige, das sie haben, Jesus in die Hände, vollständig. Sie geben ihren ganzen Vorrat. Nichts im Vergleich zu den vielen Menschen. Jesus nimmt das Wenige. Und Er dankt Gott dem Vater, bricht das Brot und sie verteilen es und unter ihren Händen wird es nicht weniger, sondern mehr. Zweifellos: Wenn so etwas geschrieben wird im Evangelium, dann gibt es manche, die zweifeln. Kann den so etwas geschehen? Aber es gibt zu viele Bespiele in der Kirche, dass so etwas geschehen ist. Und für mich ist es deswegen auch keine Schwierigkeit, zu glauben, dass das wirklich so war. Wunder gab es und gibt es. Aber hinter diesem Wunder steht ein deutliches Wort auch an unsere Zeit, an die Kirche und an die Gesellschaft.

Wir gehen in eine schwierige Zeit, wir werden alle sehr, sehr gefordert sein und zum Teil auch überfordert. Sind wir vorbereitet? Werden wir die Krise der schwierigeren Zeit schaffen? Jesu Wort: "Schickt sie nicht weg! Gebt ihr ihnen zu essen" ist natürlich eine Überforderung. Fünf Brote für so viele!

Wir werden erleben, dass vieles von dem, was heute selbstverständlich ist - ein gedeckter Tisch, eine funktionierende Infrastruktur, ein perfekt funktionierendes Gesundheitssystem, Pensionen für alle - nicht mehr so selbstverständlich ist. Die Energiequellen, die ein Großteil unseres Reichtums ausmachen, haben wir ziemlich hemmungslos ausgebeutet; die Finanzquellen sind durch allgemeine Überverschuldung in Gefahr geraten sind. Und vor allem werden wir die menschlichen Ressourcen brauchen: die Tugenden des Alltags, die Tugenden des Zusammenlebens, die Güte, die Geduld, die Rücksichtnahme, Fleiß und Ehrlichkeit, das nicht ausnützen und ausreizen aller Möglichkeiten, sondern verantwortlich umgehen, mit dem, was uns gegeben ist. Wir erleben eine Krise, wo alle diese Ressourcen rar werden. Auch die Kirche blutet dadurch, dass so viele sie verlassen in diesen Tagen, Wochen, Monaten. Aber die Frage steht im Raum: Sie ist eine wichtige Ressource der Sinnfindung und Sinngebung. Und diese Ressource werden wir brauchen.

Wenn es enger wird, dürfen die, für die es schon jetzt eng ist, nicht die sein, die am meisten den Gürtel enger schnallen müssen, zur Kasse gebeten werden. In den schärfer werdenden Verteilungskämpfen - das kommt auf uns zu - muss es besonders die Sorge der Politiker, aber auch der ganzen Gesellschaft sein, für Gerechtigkeit, besonders für die Schwächeren, Sorge zu tragen, ihnen das notwendige Minimum zu sichern. Zur Gerechtigkeit gehört freilich auch, Sorge dafür zu tragen, dass nicht soziale Mittel missbräuchlich verwendet werden. Die große Kunst ist es, den Weg der gerechten Mitte zu suchen. Und Sache der Kirche wird es immer sein, die Stimme für die Schwächeren zu erheben, die keine Lobby haben, die keine mächtigen Interessenverbände hinter sich haben. Das sind die, die jetzt schon am Minimum-Rand leben müssen. Das sind die Alleinerziehenden, das sind die kinderreichen Familien, deren Opferbereitschaft zwar der Gesellschaft sehr zu Gute kommt, von dieser aber wenig honoriert wird. Hierzu gehören die Ungeborenen, die im unserem Land wohl die wehrloseste Gruppe darstellen. In dieser "Woche des Lebens" gilt es, allen zu danken, die aktiv den Schutz der Ungeborenen, unserer Zukunft, sich zum Anliegen gemacht haben!"

"Gebt ihr ihnen zu essen!": Das ist eine Überforderung! So wie das, was vor uns liegt. Aber auch heute ist das Wunder von damals möglich. Wie? Zuerst dadurch, dass wir unsere Ressourcen zusammentun: die fünf Brote und zwei Fische waren wenig, aber sie waren eine Basis, ein Ausgangspunkt. Aber wenn wir wirklich in dieser Gesellschaft zusammen stehen, wird es möglich sein, alle Kräfte zusammen zu tun. Vor allem die Fantasie der Liebe, der Kreativität der Nächstenliebe ist Herausforderung für die Christen in unserem Land und für alle Menschen guten Willens. Auch dadurch, dass wir unsere Anspruchshaltung überdenken und uns bewusst sind, dass zuerst die Dienstbereitschaft kommen muss. Die Zeiten der "Ich AG" sind vorbei! Mit ihr werden wir die Herausforderungen nicht bestehen!

Es geht um die Haltung Jesu: Der nach oben blickt zum Vater, und die vielen speisen möchte und Gott Dank sagt, ihn bittet. Der Blick nach oben, die Bitte, das Gebet, die Orientierung nach oben, die Gottsuche und das Gottvertrauen. Das Wunder von damals steht auch heute als Verheißung vor uns. Es ist möglich, auch heute. Jesus traut es uns zu. Vertrauen wir ihm, dass es mit ihm gelingen wird!

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