Kardinal Schönborn skizziert „missionarische Reform“ für die Kirche
Angesichts des „europäischen Megatrends des Auszugs der Menschen aus den Institutionen“, der auch alle großen Religionsgemeinschaften trifft, werde es für die katholische Kirche immer schwerer, „in den tradierten Strukturen nach den gewohnten Maßstäben zu arbeiten“, schreibt der Wiener Erzbischof Kardinal Schönborn in einem Brief vom 12. September an die Mitarbeiter der Erzdiözese. Eine wirkliche Erneuerung der Kirche in Österreich erhofft sich der Kardinal allerdings nicht von „Regeländerungen, wie sie – wenn überhaupt – nur die Weltkirche vornehmen kann“. Vielmehr gehe es um einen „radikalen Aufbruch“ der Kirche, „um den Menschen des 21. Jahrhunderts wirklich nahe zu sein und den Glauben verkünden zu können“. Es gehe darum, „die Türen als missionarische Kirche weit aufzumachen und in die Welt hinauszugehen“.
An erster Stelle der Überlegungen einer Reform müsse der „Grundauftrag des Herrn an seine Kirche“ stehen: „Geht in alle Welt, verkündet das Evangelium!“ Kirche sei kein Selbstzweck: "Mission ist ihr Grundauftrag", so Schönborn, der von einer "missionarischen Reform" spricht: "Das ist der Maßstab für all unser Tun. Von da her müssen wir uns der Frage stellen: Welche Strukturen helfen uns dabei und welche nicht (mehr)?"
Neue Gründungs-und Aufbaudynamik in der Kirche
Die tiefgreifenden Veränderungen im Zusammenleben der Menschen verlangten nach adäquaten Strukturen und einem Mentalitätswandel auch in der Kirche. Es brauche eine „neue Dynamik des Aufbauens und Gründens“ lebendiger Keimzellen - „kleine, offene Gemeinschaften mitten im weltlichen Geschehen, die gerade Laien in größere Verantwortung rufen werden“. Insofern werde die Struktur "kleinteiliger" werden. Zugleich werde es größere Einheiten in verschiedenen Kooperationsformen heutiger Pfarren geben, "um eine lebendige pastorale Arbeit zu fördern und die Gemeinden um geistliche Quellorte zu sammeln".
Dabei würde sich auch manche Aufgabe der Pfarrer und der pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter "stark verändern". Diese Form der Kirche lebe von der gemeinsamen Verantwortung aller, nicht nur von Amtsträgern. Wichtig sei nicht, "welchen Platz wer in der Struktur der Kirche einnimmt, sondern ob wir einander im Christsein ermutigen." Nicht die Anzahl der Priester sei entscheidend, "sondern was jede und jeder, der und die in der Nachfolge Christi steht, dazu beiträgt, dass Gottes Reich in der Welt sichtbar wird - auch heute in Österreich." Alle getauften Frauen und Männer hätten „Anteil am gemeinsamen Priestertum, um der Welt zu zeigen, dass Gott lebt und welche Kraft er hat“.
Den Denkansatz, die Strukturen in der Kirche, so wie sie heute sind, aufrechtzuerhalten, indem etwa die Zulassungsbedingungen zum Priestertum geändert werden, hält Schönborn für zu konservativ. Dabei werde auch übersehen, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Zahl der aktiven, praktizierenden Katholiken schneller zurückgegangen sei als die Zahl der Priester. Daher halte er den Lösungsansatz, der nun in der Erzdiözese Wien angegangen wird, für "zukunftsfähiger und angemessener". Dazu müsse man auch auf keine Regeländerung der Weltkirche warten: "Wir können in diesem Augenblick beginnen."
Den begonnenen Aufbruch weiterführen
Die missionarische Reform in der Erzdiözese Wien habe mit dem Prozess der „Apostelgeschichte 2011“ und den drei Delegiertenversammlungen begonnen, im Hirtenbrief vom Mai 2011 seien die ersten Schritte abgeleitet worden. Nun gehe die Reform „von der Nachdenk- in die Handlungsphase“. Kardinal Schönborn kündigt an, dass nun "unter breiter Beteiligung verschiedener Kräfte der Diözese" Schritte auf dem Weg in diese Zukunft erarbeitet werden. Etwa ab Ostern 2012 soll es dann konkrete Vorgaben geben. Er bitte alle Katholiken, diesen Aufbruch mitzugehen.
Keine Kirchenspaltung
Eine Von einer Kirchenspaltung möchte der Kardinal nichts wissen. "Spaltungen hat es schon genug gegeben, fast immer im Namen der Reform der Kirche." Die Meinung mancher, die Spaltung in der Kirche sei de facto schon geschehen, teile er nicht: "Die Vielfalt unserer Kirche ist ein Geschenk, das einen weiten Raum in der Kirche eröffnet, in dem so viel möglich ist. Ebenso ist es ein Geschenk, dass wir in all dieser Verschiedenheit in einer Kirche zusammengehören."
Kardinal Schönborn spricht in seinem Brief auch über die Erfahrung, dass es „den eigenen Glauben belebt, von ihm Zeugnis zu geben“. Er erinnert auch an eine zentrale Botschaft des 2. Vatikanischen Konzils: „die universale Berufung zur Heiligkeit“ – und dass wir Gott dabei auch Neues zutrauen sollten, „unerwartete Aufbrüche, die das Gesicht der Kirche nachhaltig verändern“. Es berühre ihn zutiefst, so der Kardinal, "mehr und mehr junge, gläubige Familien zu erleben, die mit großer Bereitschaft Ja zum Glauben sagen, zur Kirche, Ja zum Leben, zu mehreren Kindern und zur ehelichen Treue". Und er erlebe "nicht wenige Männer, junge wie ältere, die auch unter den bestehenden Vorgaben zum Priesterberuf bereit sind“. Auch der Weltjugendtag im August in Madrid habe gezeigt, "welche Kraft junge Menschen aus ihrer Freude an Christus und am Kirche-Sein beziehen".
Die Not der Wiederverheirateten Geschiedenen
Einen eigenen Punkt widmet der Kardinal in seinem Artikel auch den Geschiedenen Wiederverheirateten. In den letzten Jahren habe ihn das Thema "Barmherzigkeit" intensiv beschäftigt, schreibt Schönborn dazu. Bei vielen Gelegenheiten habe er versucht, im Blick auf die Not Wiederverheirateter Geschiedener pastorale Hilfen anzubieten. Pastoral sei viel möglich. Zugleich sei aber festzuhalten, dass die Kirche Jesu klare Worte von der Unauflöslichkeit der Ehe nicht aushöhlen dürfe. Schönborn weiter: "Bei aller Sorge um die, deren Ehe gescheitert ist, dürfen wir nicht vergessen, dass die katholische Kirche inzwischen fast die einzige Kraft ist, die die Ehe in unserer Gesellschaft verteidigt".
Schönborn erinnert an seine Bischofsweihe vor 20 Jahren am 29. September 2011 und schließt damit, dass diese zwei Jahrzehnte für ihn fordernd und erfüllend gewesen sein. Neben der Dankbarkeit – „vor allem für die Momente, in denen der gemeinsame Glaube erfahrbar war“ – hege er „eine große Hoffnung: Aus dem Glauben an Jesus Christus und aus der Freundschaft mit ihm kommt die Kraft, den Weg weiterzugehen und zwar gemeinsam“.