Nur die sogenannte “Klagemauer” blieb bis heute von seiner Pracht.
Nur die sogenannte “Klagemauer” blieb bis heute von seiner Pracht.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 33. Sonntag im Jahreskreis, 18.11.2001
(Lk 21,5-19)
Jesu Wort ist ein Sprichwort geworden: “Kein Stein wird auf dem anderen bleiben”. Es paßt genau auf unsere Tage. Deshalb ist dieses Evangelium mit seinen Warnungen und seinem großen Trost gerade jetzt ein Wort für diese Geschichtsstunde.
Jesu ist in Jerusalem, in wenigen Tagen wird es soweit sein: Gefangennahme, Prozeß, Todesurteil, Kreuzigung. Wie so oft ist Jesus in diesem Tempel, diesem prachtvollen Gotteshaus. Man bewundert seine Schönheit und Größe, wie so viele unsere Dome in Europa bestaunen.
“Alles wird niedergerissen werden”, sagt Jesus voraus. Unvorstellbar. Der Tempel soll zugrunde gehen? Keine vierzig Jahre später war er völlig zerstört. Nur die sogenannte “Klagemauer” blieb bis heute von seiner Pracht.
“Wann wird das geschehen?”, fragen seine Zuhörer besorgt? Wird es Vorwarnungen geben? Jesus antwortet nicht mit einem Zeitplan und genauen Daten. Vielmehr rüstet er seine Zuhörer für die kommende Zeit aus. Klar sagt er voraus, es werde eine schwere Zeit kommen. Was erwartet uns? Zuerst eine große Verwirrung. Falsche Propheten, allerlei irrige Heilslehren, selbsternannte “Messiase” und “Gurus”, die sich für “Christus” ausgeben und Glück und Heil versprechen. Waren nicht die Nazi-Ideologie (“Heil Hitler”) und der Kommunismus (“Paradies auf Erden”) solche Pseudo-Erlöser? Jesus rät zur Nüchternheit: Gebt acht, laßt euch nicht irreführen, lauft ihnen nicht nach!
Von Kriegen und Unruhen hören wir täglich. Von schrecklichen Dingen berichten die Medien täglich. 800 Millionen Menschen leben unterernährt. Seuchen verbreiten sich trotz aller Fortschritte. Gewaltige Erdbeben, Naturkatastrophen. “Laßt euch dadurch nicht schrecken”, sagt Jesus. Es geht nicht darum, sorglos in den Tag zu leben. Auch auch nicht um Panik. Mitten in allen Schrecknissen wird es Trost geben. Die, die den Krieg erlebt haben, die Schrecken der Bombennächte, die Nöte der Flucht, berichten immer wieder von solchen Erfahrungen der Nähe Gottes.
Zu den Bedrängnissen der kommenden Zeit zählt Jesus auch die Verfolgungen um seinetwillen. Für kein Jahrhundert trifft das mehr zu als für das zwanzigste. Weltweit werden zur Zeit die Zeugnisse über Menschen gesammelt, die um ihres Glaubens willen verfolgt wurden. Es sind viele Millionen; Märtyrer, Zeugen der Standhaftigkeit, die ihrem Gewissen und ihrem Glauben treu geblieben sind, notfalls bis in den Tod, wie eine Schwester Restituta, ein Franz Jägerstätter.
Weil wir auf dieser Welt nur Pilger sind, für die kurzen Lebensjahre, gilt es standhaft zu bleiben in den Bedrängnissen. Dann werden wir “das Leben gewinnen”, das nie untergeht, das ewige Leben.
Die Ankündigung der Zerstörung des Tempels
Als einige darüber sprachen, dass der Tempel mit schönen Steinen und Weihegeschenken geschmückt sei, sagte Jesus:
Es wird eine Zeit kommen, da wird von allem, was ihr hier seht, kein Stein auf dem andern bleiben; alles wird niedergerissen werden.
Vom Anfang der Not
Sie fragten ihn: Meister, wann wird das geschehen und an welchem Zeichen wird man erkennen, dass es beginnt?
Er antwortete: Gebt Acht, dass man euch nicht irreführt! Denn viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin es!, und: Die Zeit ist da. - Lauft ihnen nicht nach!
Und wenn ihr von Kriegen und Unruhen hört, lasst euch dadurch nicht erschrecken! Denn das muss als erstes geschehen; aber das Ende kommt noch nicht sofort.
Dann sagte er zu ihnen: Ein Volk wird sich gegen das andere erheben und ein Reich gegen das andere.
Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen.
Aber bevor das alles geschieht, wird man euch festnehmen und euch verfolgen. Man wird euch um meines Namens willen den Gerichten der Synagogen übergeben, ins Gefängnis werfen und vor Könige und Statthalter bringen. Dann werdet ihr Zeugnis ablegen können.
Nehmt euch fest vor, nicht im voraus für eure Verteidigung zu sorgen; denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, sodass alle eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können.
Sogar eure Eltern und Geschwister, eure Verwandten und Freunde werden euch ausliefern und manche von euch wird man töten. Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden.
Und doch wird euch kein Haar gekrümmt werden.
Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.