Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten.
Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 12. Sonntag im Jahreskreis, 23.6.2002,
(Mt 10, 26-33)
Gleich dreimal ruft Jesus heute seinen Hörern zu: "Fürchtet euch nicht!" Wovor sollen wir uns nicht fürchten? Gar keine Furcht zu haben wäre wohl nicht das Richtige. Denn es gibt vieles, was uns Menschen ganz natürlicherweise ängstigt. Wir fürchten uns vor dem, was uns bedroht und wogegen wir uns machtlos fühlen. Viele müssen heute um ihren Arbeitsplatz bangen, wenn immer mehr "wegrationalisiert" wird. Die Sorge um die Gesundheit kann schwer belasten, ebenso Beziehungsprobleme, Partnerschaftskrisen und damit der drohende Verlust von Geborgenheit. Im Tiefsten ist es wohl die Angst, zu verlieren, was uns lieb ist. Und da alles auf dieser Welt vergänglich ist, ist auch alles stets und überall gefährdet, und daraus kommt so viel Furcht in unser Leben.
Gerade diese Furcht sollen wir überwinden, auch wenn es fast unmöglich scheint. Drei Schritte gibt Jesus dafür an. Die Angst "anzuecken" gilt es als Erstes zu überwinden. Sie lähmt uns oft, das auszusprechen, wovon wir überzeugt sind. Sie hindert viele Christen, für ihren Glauben öffentlich einzustehen. Was Jesus gesagt hat soll aber hinauskommen, nicht in der Sakristei bleiben, denn seine frohe Botschaft soll zu allen Menschen gelangen. Die Christen sollen daher keine Angst davor haben, sich vor den anderen zu Christus zu bekennen, damit er nicht einmal zu ihnen wird sagen müssen: "Ich kenne euch nicht!".
Damit sind wir bei zweiten "Fürchtet euch nicht". Nur ein Verlust ist wirklich zu fürchten: Gott zu verlieren. Denn wer ihn verliert, verliert alles. Wer ihn hat, dem kann kein anderer Verlust etwas anhaben.
Unvergesslich ist mir die Begegnung mit einem Lagerfreund von Alexander Solschenizyn. Im sibirischen Gulag, so seine Erfahrung, überlebten die am ehesten, die nicht um jeden Preis das leibliche Überleben suchten, die mehr den Tod der Seele als den des Leibes fürchteten. Ähnliches erlebte Viktor Frankl in Auschwitz.
Der Tod, der uns allen gewiss ist, ist nicht das größte Übel. Schlimmer ist es, seine Seele zu verlieren, herzlos zu werden. Wer furchtlos sein Leben für das Gute, für die anderen, für Gott einsetzt, braucht den Tod nicht zu fürchten.
Wie eine solche innere Freiheit erwerben? Jesu drittes "Fürchtet euch nicht" zeigt den Weg: Gottvertrauen! Euer Vater im Himmel weiß, was ihr braucht. Er sorgt für euch, bis zu den Haaren. Er liebt selbst die Spatzen, um wie viel mehr euch!
Theresia von Avila spricht diese Haltung in einem berühmten Gedicht an:
Nichts dich verwirre;/nichts dich erschrecke.
Alles geht vorbei./Gott ändert sich nicht.
Geduld erlangt alles./Wer Gott hat,
dem fehlt nichts./Gott allein genügt.
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln:
Fürchtet euch nicht vor den Menschen! Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird.
Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern.
Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann.
Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters.
Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt.
Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.
Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.
Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.