Wenn der Lebenssaft des Weinstocks nicht in die Rebzweige kommt, dann wächst da keinerlei Frucht.
Wenn der Lebenssaft des Weinstocks nicht in die Rebzweige kommt, dann wächst da keinerlei Frucht.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 5. Sonntag der Osterzeit, 18.5.2003
(Joh 15,1-8)
Für die Menschen meiner Weinviertler Wahlheimat Retz ist das heutige Evangelium leicht verständlich und ganz anschaulich. Wer kennt da nicht die Arbeit des Weingärtners, der viele Triebe stutzen oder wegschneiden muss, damit der Weinstock gut Frucht trägt. Wer kennt da nicht das Bild der abgeschnittenen Rebzweige, die gesammelt und verbrannt werden. Früher hat man sie gebündelt und kleingeschnitten, um sie zum Anheizen des Herdes oder des Ofens zu verwenden. Jeder weiß: sobald der Rebzweig abgeschnitten ist, verdorrt er. Anschaulicher kann es Jesus nicht sagen: Getrennt von mir, dem wahren Weinstock, könnt ihr so wenig etwas hervorbringen wie ein verrottender Rebzweig im Weingarten. Daher die Kernaussage: „Bleibt in mir und ich bleibe in euch!“
Ich denke, Jesus hat das so gemeint wie er es sagt: Wenn der Lebenssaft des Weinstocks nicht in die Rebzweige kommt, dann wächst da keinerlei Frucht. Wenn wir nicht wirklich und lebendig mit Gott, mit Jesus seinem Sohn, in Verbindung sind, dann sind wir tot wie die herumliegenden Rebzweige.
Ohne Gott sind wir tot. Denn Gott ist das Leben unseres Lebens. Und da er der Gott des Lebens ist, will er nicht unseren Tod, sondern dass wir leben. Und wieder hilft das Bild des Weinbaus, um zu sehen, wie Gott uns lebendig macht.
Wer sieht, wie der Winzer im Winter den Weinstock beschneidet, alle Zweige radikal zurückstutzt, der mag, wenn es ihm an Erfahrung fehlt, den Eindruck haben, aus dem Stumpf des Weinstocks könne nie mehr etwas werden. Das Gegenteil ist der Fall. Nur so kann er im Frühjahr wieder kräftig austreiben.
In der Bibel ist der Weingarten oft ein Bild für das Volk Gottes. Manchmal scheint es derart zusammengestutzt, dass viele es bereits für tot erklären Doch dann treibt es wieder kräftig aus, frisch und lebendig. So zeigt es sich in der Geschichte bis heute. Oft tot gesagt, erlebt die Kirche immer wieder einen neuen Frühling.
Der Winzer reinigt aber auch. Das ist die Arbeit im Frühjahr und im Sommer. Die Rebzweige dürfen nicht zu sehr austreiben, sonst wächst die Frucht nicht ordentlich. Gott ist der Winzer unseres Lebens. Manche Einschnitte tun weh, Prüfungen aller Art, die Gott zulässt, um uns zu reinigen. Die Erfahrung lehrt uns, dass wir nur wachsen und lebendig bleiben, wenn Gott als der gute Winzer an uns arbeitet. Er weiß, was an uns unfruchtbare Triebe sind und was weg muss. Er kennt uns genau und will uns vor falschen Anhänglichkeiten und Selbsttäuschungen befreien.
Jesus ist der wahre Weinstock, in dem der Lebenssaft Gottes fließt. Ohne ihn geht gar nichts, so sagt er unmissverständlich klar. Wir mögen zwar viel tun und uns sehr aktiv gebärden, aber ohne Christus wird nichts daraus: „Bleibt in mir!“
In Christus bleibt nicht wer viele Worte macht, sondern wer den Nächsten liebt. Das ist die Frucht, die Gott von uns erwartet, die einzig wirklich gute Frucht. Denn ohne die Liebe sind wir tote Rebzweige.
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt.
Ihr seid schon rein durch das Wort, das ich zu euch gesagt habe. Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch.
Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.
Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen und er verdorrt. Man sammelt die Reben, wirft sie ins Feuer und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und wenn meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten. Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet.