Wissen wir um unser Ziel?
Wissen wir um unser Ziel?
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 13. Sonntag im Jahreskreis, 27. Juni 2004,
(Lk 9,51-62)
Entschlossen geht Jesus seinen Weg. Wer will mit ihm gehen? Das Leben ist eine Wegstrecke, wir sind ständig unterwegs, solange wir leben. Erst am Ende des Lebens, durch die enge Pforte des Todes, kommen wir ans Ziel.
Aber wie gehen wir unseren Weg? Hastig oder ruhig, schwankend oder bestimmt? Haben wir ein Ziel? Wissen wir um unser Ziel? Oder ist unser Leben ein Dahinstolpern von Tag zu Tag? Ist unser Leben ein mühsames "Durchwursteln", zwischen Pflicht und Unterhaltung, Aufgaben und Zerstreuungen? Es mag noch schlimmer sein: unser Leben kann uns sinnlos, leer und haltlos erscheinen. Dann droht der Alkohol, um zu vergessen, die Verzweiflung, bis hin zum Selbstmord.
Wie wichtig ist es daher im Leben, Menschen zu begegnen, die uns orientieren können, die selber wissen, was sie wollen und die andere mitreißen können, ihrem Leben Richtung und Ziel zu geben. Das hat seit jeher Menschen an Jesus fasziniert. Er konnte Wegweiser sein, den Sinn des Lebens zeigen, er war vielen ein Vorbild, dem nachzueifern sich lohnt.
Solchen Menschen begegnen wir heute im Evangelium. Einige sind schon länger mit ihm auf dem Weg, sind seine begeisterten Anhänger, fast schon fanatisch, denn als man sie in einem Samariterdorf nicht aufnehmen will, wollen sie gleich den "Heiligen Krieg" ausrufen, Feuer auf das ungastliche Dorf herab beschwören.
Die Samariter mochten die Juden nicht, und wer auf dem Pilgerweg nach Jerusalem durch ihr Gebiet zog, musste mit ihrer Feindschaft rechnen. Die Jünger Jesu scheinen noch wenig von ihrem Meister gelernt zu haben, wenn sie feurige, blutige Rache fordern. Jesus herrscht sie streng an: dazu ist er nicht gekommen, mit Feuer und Schwert die Menschen zu seinen Sklaven zu machen. Sein Ziel ist Jerusalem, denn dort will er sein Leben für die Menschen geben, nicht um sie zu zwingen, sondern sie vom Zwang der Sünde zu befreien. Das sollen sie von ihm lernen, um selber so zu werden wie er.
Immer wieder stoßen Menschen dazu, wollen sich seinem Weg anschließen. Drei werden genannt, sie stehen für viele, die sich bis heute mit der Frage tragen, Jesus ausdrücklicher nachzufolgen, ganz seine Jünger zu werden. Jesus scheint dafür die Latte so hoch zu legen, dass es nicht verwundert, wenn viele mutlos werden oder gar nicht anfangen, ihm nachzufolgen. Jesus weist auf alle möglichen Schwierigkeiten hin, die ein Leben in enger Gemeinschaft mit Ihm bringen kann: Jesus, der "Menschensohn", ist auf Erden heimatlos. Bist du bereit, das auch für dich anzunehmen? Willst du mit mir gehen, dann schau nicht zurück, sondern lass dich ganz auf meinen Weg ein.
Sind die drei dann tatsächlich Jesus nachgefolgt? Das Evangelium sagt es nicht. Tatsache ist, dass seit 2000 Jahren zahllose Männer und Frauen sich auf das spannende Abenteuer der Nachfolge eingelassen haben. Oft waren und sind es gerade junge Menschen, die der Ruf Jesu packt. Mich hat er als Jugendlicher angezogen. Und trotz aller eigenen Schwächen habe ich es bis heute keinen Augenblick bereut, Ihm nachgefolgt zu sein.
Als die Zeit herankam, in der er in den Himmel aufgenommen werden sollte, entschloss sich Jesus, nach Jerusalem zu gehen. Und er schickte Boten vor sich her. Diese kamen in ein samaritisches Dorf und wollten eine Unterkunft für ihn besorgen.
Aber man nahm ihn nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet? Da wandte er sich um und wies sie zurecht.
Und sie gingen zusammen in ein anderes Dorf. Als sie auf ihrem Weg weiterzogen, redete ein Mann Jesus an und sagte: Ich will dir folgen, wohin du auch gehst.
Jesus antwortete ihm: Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.
Zu einem anderen sagte er: Folge mir nach! Der erwiderte: Lass mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben. Jesus sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes!
Wieder ein anderer sagte: Ich will dir nachfolgen, Herr. Zuvor aber lass mich von meiner Familie Abschied nehmen.
Jesus erwiderte ihm: Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.