Der Tod verliert seinen Schrecken, wenn er als Heimkehr zu Gott erhofft wird.
Der Tod verliert seinen Schrecken, wenn er als Heimkehr zu Gott erhofft wird.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 32. Sonntag im Jahreskreis, 6. November 2005,
(Mt 25,1-13)
Keiner von uns weiß genau „den Tag und die Stunde“. Wann wird es für mich so weit sein, den letzten Schritt auf Erden zu tun oder auch zu erleiden? Für unsere „letzte Stunde“ sollen wir bereit sein. Das sagt Jesus im heutigen Evangelium, im Gleichnis von den zehn „Brautjungfern“, die zum Teil klug, zum Teil dumm waren.
Aber geht es Jesus wirklich um meine, deine letzte Stunde der irdischen Pilgerschaft? Geht es ihm nicht viel mehr um Seine Stunde, den Tag Seiner Wiederkunft? Tatsächlich spricht Jesus oft davon. Und die Christen der ersten Zeit haben auch ernsthaft auf diesen Tag gewartet. Sie waren überzeugt, dass Jesus am Ende der Zeit wiederkommen wird in Herrlichkeit.
Die erste Christengeneration hoffte, sie werde Seine Wiederkunft noch erleben. Als sie ausblieb, gab es bald spöttische Stimmen, die sagten: Wo bleibt denn seine verheißene Wiederkunft? Alles bleibt beim Alten, was hat sich schon geändert seit Christi Kommen? Wer weiß, ob das mit seiner angekündigten Wiederkunft überhaupt stimmt.
Heute, zweitausend Jahre danach, ist Christus immer noch nicht zurückgekommen. Die Welt geht weiter. Dass sie einmal vergehen wird, wissen wir dank der modernen Wissenschaft. „Himmel und Erde werden vergehen“, hat Jesus gesagt. Unser Universum, sagen die Wissenschaftler heute, wird vergehen, in einigen Milliarden Jahren.
Was bedeutet in diesen für uns unvorstellbaren Zeiträumen der christliche Glaube, den das Glaubensbekenntnis, das „Credo“, so ausdrückt: „Er wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Worauf sollen wir warten, wofür sollen wir wach sein, wie die klugen Brautjungfern? Was bedeuten die Lampen, die dann anzuzünden sind?
Ich las neulich folgenden Satz: „Was man intensiv erhofft oder ernstlich fürchtet, ist gefühlsmäßig ganz nahe“ (P. Jan Bots). Was hoffe, was fürchte ich stark? Ich glaube, heute wird „der Tag und die Stunde“ unseres irdischen Endes, der Tod, oft sehr verdrängt. Wir verdrängen gerne, was wir fürchten, und so ist der Tod als Gefürchteter auch sehr gegenwärtig. Wie die dummen Brautjungfern denken wir lieber nicht an den Tod und sind deshalb nicht vorbereitet, wenn er plötzlich, unangemeldet vor der Tür steht. Dann ist keine Zeit mehr, um schnell noch die Vorbereitung nachzuholen, „das Öl für die Lampen zu kaufen“.
Wer aber den Tod als Stunde der Begegnung mit Gott erhofft, dem wird „das Kommen des Bräutigams“ nicht Angst bereiten. Der Tod verliert seinen Schrecken, wenn er als Heimkehr zu Gott erhofft wird. Die so leben, sterben auch leichter, weil sie wie die klugen Brautjungfern für die Hochzeit bereit sind. Wenn ich so auf diese Stunde zu lebe, dann ist mir Gott als das erhoffte Ziel immer nahe.
Wie ist es aber mit dem „jüngsten Tag“ für die ganze Welt? Sollen wir ihn erhoffen? Müssen wir ihn fürchten? Meine persönliche Antwort, die ich mir selber auf diese Frage gebe, lautet: Gott ist geduldig. Er weiß, wann Christus wiederkommt. Aber für eines bin ich jetzt schon dankbar: dass ich mit dabei sein darf! Jesus will uns mit dabei haben bei Seinem großen Fest des Himmels. Deshalb hat er uns das Leben geschenkt. Dieser Gedanke freut mich und lässt mich hoffen, wach zu sein, wenn Er kommt, wenn meine Stunde mir schlägt.
In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis:
Mit dem Himmelreich wird es sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug.
Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein.
Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen!
Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus.
Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht.
Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal, und die Tür wurde zugeschlossen.
Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach und auf! Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.
Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.