Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes!
Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes!
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 2. Sonntag im Jahreskreis 15. Januar 2006,
(Joh 1,34-42)
Wie wird man Christ? Meist dadurch, dass man in eine christliche Familie geboren wird und in ihr aufwächst. So wie andere Menschen in muslimische, buddhistische oder anderen Religionen angehörende Familien geboren werden. Religion - Zufallstreffer der Geburt? Ja und nein! Gewiss, die erste Prägung empfängt jeder Mensch durch die eigene Familie und durch das Umfeld, in dem die Familie lebt: die Kultur, die Geographie und eben auch die Religion, die einen umgibt und prägt, die einem von klein auf vertraut ist.
Doch das ist nicht alles. Wir müssen alle im Laufe unseres Lebens zu den Prägungen unserer Kindheit, unserer Kultur und auch unserer Religion Stellung nehmen. Sage ich Ja zur Religion meiner Geburt? Oder suche ich andere, neue Wege? Folge ich einfach der Tradition, in der ich aufgewachsen bin? Das kann durchaus gut und sinnvoll sein. Oder nehme ich Abstand von dem, worin ich groß geworden bin?
Das heutige Evangelium zeigt einen Weg, wie zwei noch jüngere Menschen zu einer bewussten Entscheidung für die Nachfolge Jesu kommen. Gerade für heute ist deshalb dieser Abschnitt des Johannesevangeliums wichtig, da viele junge Menschen sich mit der Kirche schwer tun oder oft gar nichts mit ihr zu tun haben. Johannes erzählt, wie er selber dazu gekommen ist, Jesus zu finden und sein Jünger und Freund zu werden.
Johannes und Andreas befanden sich bereits auf der Suche. Sie wollten mehr als nur "dahinleben". So kamen sie zum Täufer Johannes, wurden religiös aufgeweckt. Ohne diese "Vorschule" des Glaubens hätten sie Jesus nicht gefunden. Ich denke, dass Taizé heute so eine "Vorschule" darstellt. Dieses Kloster, dieser Begegnungsort in Burgund zieht seit Jahrzehnten abertausende junge Menschen an. Der neunzigjährige Prior von Taizé, Frère Roger Schütz, wurde im vergangenen August von einer Geistesgestörten während des Abendgebets ermordet. Frère Roger war für zahllose junge Menschen eine Art Johannes der Täufer. Er hat immer auf Jesus hingewiesen, und viele haben sich aufgemacht, um Jesus nachzufolgen. Johannes hat sie auf Jesus neugierig gemacht. Wenn es Eltern, Religionslehrern, überhaupt Erwachsenen gelingt, Interesse an Jesus zu wecken, ist schon viel gelungen.
Wie aber geht Jesus mit den beiden Neugierigen um? Er beginnt mit einer Frage! "Was wollt ihr?" Was sucht ihr? Diese ganz persönliche Frage macht Mut. Was bewegt dich? Was willst du für dein Leben? Nicht: Was ist gerade Mode? Was tun die anderen? Was ist zurzeit "in"? Sondern: Wonach sehnst du dich in deinem innersten Herzen? Weißt du es?
Wie soll man schnell auf eine so persönliche Frage antworten? Also eine etwas verlegene Gegenfrage: "Meister, wo wohnst du?" "Kommt und seht" - so die einfache Antwort Jesu.
Bis heute ist das wohl der einzige Weg, Jesus wirklich kennen zu lernen: "Kommt und seht."
Sie gingen damals mit, sahen, wo er wohnte und blieben lange bei ihm - und er nahm sich lange Zeit für die beiden. Begegnung braucht Orte und Zeit. Das gilt für unsere Beziehungen, Freundschaften, Familien. Es gilt auch für das bewusste Christsein. Für die beiden künftigen Apostel waren diese ersten Stunden der Begegnung mit Jesus lebensentscheidend. Schon am nächsten Tag brachten sie andere zu Jesus. So entstand Kirche. Und so wird sie sich wieder erneuern, jung und lebendig, wie am Anfang.
In jener Zeit stand Johannes am Jordan, wo er taufte, und zwei seiner Jünger standen bei ihm.
Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes!
Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, fragte er sie: Was wollt ihr?
Sie sagten zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister -, wo wohnst du? Er antwortete: Kommt und seht! Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde.
Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer der beiden, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte - Christus.
Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels - Petrus.