Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.
Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 5. Sonntag im Jahreskreis, 5. Februar 2006,
(Mk 1,29-39)
Wer einmal Kapharnaum am See Genesaret war, wird das heutige Evangelium anschaulich vor Augen haben. Von der kleinen Grenzstadt am See, an der großen Handelsstrasse, sind heute nur mehr einige Ruinen übrig. Aber sie geben ein deutliches Zeugnis ab: Da ist die Synagoge, das jüdische Bethaus, in dem Jesus so oft gelehrt und Kranke geheilt hat. Es war ein schönes, imposantes Gebäude. Ein wohltätiger Hauptmann der römischen Besatzungstruppen hatte geholfen, sie zu finanzieren. Ein paar Häuser weiter, über die Gasse, die Reste einer Hauses, das nach uralter Überlieferung das Haus des Simon Petrus war. Heute ist darüber (leider?) eine moderne (durchaus ansprechende) Kirche gebaut.
Zwischen Synagoge und Petrushaus liegt altes römisches Straßenpflaster. Da also ist er gegangen. Da haben sich die Menschen, „die ganze Stadt“, am Abend dieses Sabbat versammelt. Alle wollten ihn sehen, hören, berühren – und geheilt werden. Denn „er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten“. Ich versuche, mir diese Szene lebhaft vorzustellen, und auch die andere, ganz knapp beschriebene, wie Jesus die Schwiegermutter des Petrus bei der Hand fasst und vom Fieber heilt.
Gerade weil die Darstellung so schmucklos einfach ist, ohne viele Worte, können wir sie gut betrachten. Mich berührt vor allem die Szene vom nächsten Morgen. Nach unserer Zeitzählung ist es der Sonntag. Ganz früh, noch in der Dunkelheit, als alle noch schlafen, steht Jesus auf und geht „an einen einsamen Ort, um zu beten“.
Jesus, am Sonntagmorgen, allein, im Gebet. Es ist schon etwas Geheimnisvolles, wenn man jemanden im Gebet versunken sieht. Was geht da vor sich zwischen Gott und der Seele? Nie werde ich vergessen, Papst Johannes Paul II. im stillen Gebet, früh morgens, in seiner Hauskapelle, gesehen zu haben. Die innere Zwiesprache des Menschen mit Gott ist etwas, das Ehrfurcht und Scheu erweckt. Wie muss das erst gewirkt haben, als die Jünger Jesus beim Beten überraschten!
Eines ist sicher: das war seine geheime Kraftquelle. Aus dieser innigen Beziehung mit Gott, den er „Abba, Vater“ nannte, kam alles, was er tat und sagte. Seine Jünger, die fast ständig mit ihm waren, hat es neugierig gemacht. Sie wollten mehr wissen über diesen „innersten Ort“, wo Jesus sein zu Hause hatte. Es war wie eine Einladung an sie, selber „die Welt des Gebetes“ kennen zu lernen.
Jesus war sehr schweigsam über sein Innerstes. Was und wie er betete, hat er nicht neugierigen Blicken preisgegeben. Aber die Menschen haben irgendwie geahnt, dass er, obwohl arm und ständig unterwegs, bei Gott sozusagen die Wohnung seines Herzens hatte.
Wir heutigen Menschen sind oft „unbehaust“, auch wenn wir komfortabler wohnen als die meisten unserer Vorfahren. Unruhe, Hektik, innere Leere trotz äußerer Überaktivität bestimmen häufig unseren Alltag. Jesus ist aufgebrochen, damals in die Dörfer seiner galiläischen Heimat, heute überall hin, um allen zu sagen: Das Reich Gottes ist nahe!
Was ist das nahe Reich Gottes, wenn nicht die Geborgenheit in Gott. Zu ihr will Jesus führen. Dazu heilt er, dazu versöhnt er Sünder, dazu befreit er aus Fesseln dämonischer Bindungen. Dazu steht er früh auf, um für uns zu beten. Damals suchten ihn alle, um seine heilende Nähe zu erleben. Heute noch sucht er alle, um allen den bergenden Zugang zu Gott zu eröffnen. „Denn dazu bin ich gekommen“, sagt Er.
In jener Zeit ging Jesus zusammen mit Jakobus und Johannes in das Haus des Simon und Andreas. Die Schwiegermutter des Simon lag mit Fieber im Bett.
Sie sprachen mit Jesus über sie, und er ging zu ihr, fasste sie an der Hand und richtete sie auf. Da wich das Fieber von ihr, und sie sorgte für sie. Am Abend, als die Sonne untergegangen war, brachte man alle Kranken und Besessenen zu Jesus. Die ganze Stadt war vor der Haustür versammelt, und er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus. Und er verbot den Dämonen zu reden; denn sie wussten, wer er war.
In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten. Simon und seine Begleiter eilten ihm nach, und als sie ihn fanden, sagten sie zu ihm: Alle suchen dich.
Er antwortete: Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen. Und er zog durch ganz Galiläa, predigte in den Synagogen und trieb die Dämonen aus.