„Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird."
„Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird."
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 5. Fastensonntag, 2. April 2006,
(Joh 12,20-33)
Heute vor einem Jahr, am 2. April 2005, um 21 Uhr 37, ist Papst Johannes Paul II verstorben. Wohl selten hat ein Sterben und ein Tod so viele Menschen in der ganzen Welt bewegt, über alle Grenzen der Religionen und Nationen hinweg.
Während tausende Menschen auf dem Petersplatz beteten und die Fernsehstationen aus der ganzen Welt ihre Kameras auf die beiden Fenster im dritten Stock des apostolischen Palastes gerichtet waren, versuchte der Sterbende sich noch einmal mitzuteilen. Er konnte nicht mehr sprechen. So schrieb er, kaum leserlich, auf ein Stück Papier: „Ich bin froh – seid ihr es auch!“
Dieses Wort ging in Windeseile um die Welt und wurde ein wichtiger Teil der Botschaft über den Sinn von Leben, Leiden und Sterben, die so viele Menschen berührt und bewegt hat. Mitten in den Schmerzen eines mühsamen Todes ein so klares Wort der Freude und der Ermutigung. Diese Botschaft ist bei vielen Menschen angekommen!
„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ Genau dieses Wort Jesu hat das Sterben von Papst Johannes Paul II bestätigt. Und ebenso das ihm folgende: „Wer an seinem Leben hängt, verliert es. Wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.“
Wir nähern uns dem Osterfest. Wieder kommt die Zeit, da in der ganzen Welt die Christen Jesu „heilbringendes Leiden“, sein Sterben und seine Auferstehung vom Tod feiern. Jesus nennt diese Zeit seine „Stunde“: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird.“
Auch wir sprechen von der „letzten Stunde“, wenn wir vom Sterben sprechen. Vielfach wird sie heute verdrängt, abgeschoben hinter Spitalswände, zugedeckt von hochtechnischer Apparatemedizin. Als ein „schöner“ oder wenigstens „gnädiger“ Tod gilt ein möglichst plötzlicher und unbemerkter Tod. Früher haben die Menschen aber darum gebetet, vor einem „unvorhergesehenen“ und „unvorbereiteten“ Tod bewahrt zu bleiben. Ich wünsche es mir, bei meinem Sterben sozusagen selber dabei zu sein.
Der Tod von Papst Johannes Paul war wie eine große Lektion in christlichem Sterben. Er wollte in seinem Leiden seinem Herrn und Meister Jesus Christus möglichst ähnlich sein: „Wo ich bin, wird auch mein Diener sein“, sagt Jesu heute. Das Sterben des Papstes war das Ende eines langen Leidensweges. Er hat so vielen Menschen Jesus gezeigt. „Wir möchten Jesus sehen“, sagen im heutigen Evangelium einige Osterpilger zu den Aposteln. Jesus ist uns näher gekommen, konnten viele sagen, die das Sterben des großen Papstes vor Ort oder am Bildschirm erlebt haben. Seine Botschaft hat uns erreicht: „ Ich bin froh – seid ihr es auch!“
In jener Zeit traten einige Griechen, die beim Osterfest in Jerusalem Gott anbeten wollten, an Philippus heran, der aus Betsaida in Galiläa stammte, und sagten zu ihm: Herr, wir möchten Jesus sehen.
Philippus ging und sagte es Andreas; Andreas und Philippus gingen und sagten es Jesus.
Jesus aber antwortete ihnen: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht auf die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.
Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben. Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein.
Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren.
Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen!
Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen.
Die Menge, die dabeistand und das hörte, sagte: Es hat gedonnert. Andere sagten: Ein Engel hat zu ihm geredet.
Jesus antwortete und sagte: Nicht mir galt diese Stimme, sondern euch.
Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden. Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen. Das sagte er, um anzudeuten, auf welche Weise er sterben werde.