Der Weg Jesu ist ganz anders als erwartet.
Der Weg Jesu ist ganz anders als erwartet.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den Palmsonntag, 9. April 2006,
(Mk 14,1-15,47)
Palmsonntag! Nach dem endlos scheinenden Winter ist jedes Frühlingszeichen eine Freude. Die „Palmkatzerl“ als Frühlingsboten! Die gesegneten Zweige bleiben in vielen Häusern das Jahr über aufbewahrt.
Der Frühling, um den es am Palmsonntag geht, ist freilich mehr als das Wiedererwachen der Natur. Nach dem langen Winter der Unterdrückung erwartet das jüdische Volk einen neuen Frühling der Befreiung. Das Osterfest in Jerusalem ist seit jeher der Zeitpunkt großer Hoffnungen. Das Volk wartet auf den angekündigten Retter. Ist Jesus, der Mann aus Galiläa, der ersehnte Messias? Seine Anhänger waren davon überzeugt.
Jesus selber scheint diese Erwartungen zu nähren. In der Menge der Festpilger, die aus Galiläa zu Ostern nach Jerusalem hinauf ziehen, ist auch er, gemeinsam mit seinen Jüngern. Da, kurz bevor sie in Jerusalem einziehen, tut Jesus etwas, das die Seinen als ein starkes Zeichen empfinden. Er lässt sich aus dem nächsten Dorf einen jungen Esel bringen und reitet in Richtung Jerusalem. Seine Jünger haben diese Geste offensichtlich sofort verstanden. Es heißt ja bei einem Propheten: „Juble laut, Tochter Zion, jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir, gerecht und siegreich. Demütig ist er und reitet auf einem Esel".
Dein König kommt! Begeisterung bricht aus, die Leute jubeln Jesus zu, winken mit Zweigen, rufen ihm „königliche“ Titel zu, „Hosanna“ und „Gepriesen sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt“. Sie sehen in Jesus schon einen neuen König David, der die Freiheit, Unabhängigkeit und Größe seines Reiches wiederherstellen wird. Jesus widerspricht ihnen nicht, er hat selber solche Erwartungen geweckt.
In wenigen Tagen wird der „König der Juden“ im Spottmantel vor dem Volk stehen, das seine Kreuzigung fordert. Warum tut er nichts, um die Macht zu erobern? Es bleibt bei der symbolischen Geste des Einzugs auf einem harmlosen Esel. Keine Waffen, kein Aufstand, keine Spur von Eroberung. Das Ganze endet am Kreuz. Oder doch nicht? Kam nicht danach der Ostermorgen?
Der Weg Jesu ist ganz anders als erwartet. In wenigen Tagen wird wieder an vielen Orten, in Kirchen, aber auch in Konzertsälen, die Passion Jesu betrachtet. Der ergreifendste Gottesdienst dieser Passionszeit ist für mich die Liturgie des Karfreitags im Stephansdom. Die Kreuzverehrung bewegt die Herzen. Die begleitenden Gesänge sind voll Trauer und Trost zugleich.
Dann werden die Worte der Bibel zum persönlichen Gebet: So also kommst Du, Herr und Schöpfer, zu mir, Deinem Geschöpf! Nicht mit Macht und Gewalt, sondern bescheiden, auf einem Esel reitend. Nicht als Sieger, sondern als Verspotteter. Nicht als Erfolgreicher, sondern als Liebender. Und ich? Kurze Zeit begeistert, doch dann wieder abgelenkt von so viel Anderem, so vergesslich und nachlässig. Aber heuer will ich versuchen, den ganzen Weg mit Dir zu gehen, vom Palmsonntag über die Tage Deiner Passion bis zum Ostermorgen. Heuer will ich wirklich Frühling erleben – mit Dir!
Es war einige Tage vor dem Osterfest
Als sie in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage und Betanien am Ölberg, schickte Jesus zwei seiner Jünger voraus. Er sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor uns liegt; gleich wenn ihr hineinkommt, werdet ihr einen jungen Esel angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet ihn los, und bringt ihn her! Und wenn jemand zu euch sagt: Was tut ihr da?, dann antwortet: Der Herr braucht ihn; er lässt ihn bald wieder zurückbringen.
Da machten sie sich auf den Weg und fanden außen an einer Tür an der Straße einen jungen Esel angebunden, und sie banden ihn los.
Einige, die dabeistanden, sagten zu ihnen: Wie kommt ihr dazu, den Esel loszubinden? Sie gaben ihnen zur Antwort, was Jesus gesagt hatte, und man ließ sie gewähren.
Sie brachten den jungen Esel zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Tier, und er setzte sich darauf. Und viele breiteten ihre Kleider auf der Straße aus; andere rissen auf den Feldern Zweigen von den Büschen ab und streuten sie auf den Weg.
Die Leute, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe!