Nicht jeder, der Gottes Anruf in seinem Leben spürt, muss gleich in die Wüste gehen wie Johannes der Täufer es tat. Aber etwas im Leben muss sich ändern.
Nicht jeder, der Gottes Anruf in seinem Leben spürt, muss gleich in die Wüste gehen wie Johannes der Täufer es tat. Aber etwas im Leben muss sich ändern.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 2. Adventsonntag, 10. Dezember 2006,
(Lk 3,1-6)
Wir kennen die gewissen Gedenktafeln an vielen öffentlichen Gebäuden: Erbaut unter Kaiser Franz Joseph, im soundsovielten Jahr seiner Regierung, unter Bürgermeister soundso, Bischof war damals der und der, usw. Die Namen auf der Tafel erinnern an die damaligen "Großen" und "Mächtigen". Das Datum hält den Zeitpunkt des Geschehens fest.
Mit feierlichen Worten, wie auf einer Gedenktafel, beginnt auch das heutige Evangelium: "Im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers …" Das Ereignis, an das hier erinnert wird, ist freilich ganz eigener Art. Nicht um den Bau eines Gebäudes, auch nicht um eine Schlacht, ein politisches Ereignis oder einen Staatsbesuch handelt es sich, sondern um ein "inneres" Geschehen: "Da erging in der Wüste das Wort des Herrn an Johannes, den Sohn des Zacharias."
Gott greift ein. Gott spricht einen Menschen an. Er ruft ihn und gibt ihm einen Auftrag. Ich frage mich oft: Wie sah das wohl aus? Wie wusste Johannes, dass ihn Gott anrief? Es war ja kein Telefonanruf, auch keine hörbare Stimme, kein sichtbarer Rufer. Kommt das öfters vor? Spricht Gott Menschen an? Auch mich? Wie merke ich, dass Er das ist und dass ich mir das nicht einbilde?
Ich wage es nicht, mich mit Johannes dem Täufer zu vergleichen. Aber ich glaube, dass ich selber etwas Ähnliches erfahren habe. Ich erinnere mich genau an den Ort und den Zeitpunkt, als ich mit elf Jahren zum ersten Mal den Gedanken hatte, Priester zu werden. Im Rückblick wage ich zu sagen: Damals "erging das Wort des Herrn" an mich, sein Ruf, der mich seither nicht verlassen hat. Ich weiß, wie oft ich nicht genügend diesem Anruf gefolgt bin, wie sehr ich hinter dem zurückgeblieben bin, was Sein Auftrag bedeutet. Aber ich bin überzeugt, dass es Gottes Anruf war.
Und ich weiß auch, dass andere Menschen Ähnliches erlebt haben. Das gilt nicht nur von den großen Heiligen. Von Franz von Assisi wissen wir, wie Gott ihn gerufen hat. Von Mutter Teresa von Kalkutta ist bekannt, wie sie der Ruf Gottes traf, sich ganz den Armen und Sterbenden zu widmen. Woher wussten diese Großen, woher wissen wir, ob so ein "Ruf" Einbildung ist oder wirklich von Gott kommt?
Dafür gibt es ein sicheres, untrügliches Anzeichen: wenn sich in meinem Leben etwas ändert (natürlich zum Guten hin). In der Bibel heißt das: "Umkehr". Wenn die Änderung sehr radikal ist, sprechen wir von "Bekehrung". Nicht jeder, der Gottes Anruf in seinem Leben spürt, muss gleich in die Wüste gehen wie Johannes der Täufer es tat. Aber etwas im Leben muss sich ändern. Denn immer heißt Gottes Ruf: Komm heraus aus deinen alten Gewohnheiten. Lass dich erneuern. Lass dich befreien. "Bereite dem Herrn den Weg … Was krumm ist (in deinem Leben), soll gerade werden. Was (bei dir) uneben ist, soll ebener Weg werden."
Es ist Zeit zum Umbauen. Es tut Not, die Berge an Unrat, die Hügel an Unversöhntem abzutragen, die Abgründe zwischen uns zu überbrücken. Es ist die Zeit der Gnade. Das Heil ist nahe. Weihnachten kommt. Das Christuskind kommt. Wirklich, zu uns, zu mir!
Es muss nicht auf einer Gedenktafel festgehalten werden. Aber vielleicht werde ich einmal sagen können: Es war im Advent des Jahres 2006, da erging das Wort des Herrn - an mich!
Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; Hohepriester waren Hannas und Kajaphas.
Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.
Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündigte dort überall Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden.
(So erfüllte sich,) was im Buch der Reden des Propheten Jesaja steht:
Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken.
Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.
Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.