Nehmt euch aber vor den Menschen in acht!
Nehmt euch aber vor den Menschen in acht!
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für das Fest des heiligen Stephanus, 26. Dezember 2006
(Mt 10, 17-22)
In meinem Arbeitszimmer hängt ein Werk eines zeitgenössischen Künstlers, das mir besonders lieb ist. Der Künstler hat es kurz „St. Stephan“ betitelt. Er schreibt dazu: „Die Idee zu diesem Stephanusbild ist einfach … Die Steine, die ihn getroffen haben, sind für uns zu Edelsteinen geworden.“
Die Steinigung ist eine sehr grausame Art, jemanden zu töten. Und doch ist für uns der Tod des Stephanus kostbar. Der Patron unseres Wiener Domes ist der erste Märtyrer der christlichen Geschichte, der Erste einer nicht enden wollenden Reihe von Blutzeugen bis heute.
Was ist kostbar an diesem Tod? Stephanus, einer der sieben ersten Diakone, muss ein hochbegabter und strahlender Mensch gewesen sein. Er war ein hervorragender Redner, ein geistvoller Diskutierer. Er muss sehr überzeugend gewirkt haben. Stephanus hatte nur einen großen Fehler: Er hing einer falschen Lehre an. Das war zumindest die Überzeugung seines stärksten Gegners, eines gewissen Saulus, der später auch Paulus genannt wurde. Dieser gelehrte, eifrige, fast fanatisch fromme Jude hielt die ganze Gruppe der Anhänger Jesu für gefährliche Sektierer, die den reinen jüdischen Glauben verfälschten, indem sie Jesus für den Messias und Gottessohn hielten. Er bekämpfte diese neue Lehre aufs Schärfste.
Und da kommt nun ein junger Mann, gescheit, sympathisch, gar kein Sektierer, sondern mit großer Überzeugungskraft. Er spricht von diesem Jesus mit Feuer. Ja, er behauptet, ihn sogar zu sehen, zur Rechten Gottes, im offenen Himmel. Das ist zu viel! Das ist Gotteslästerung! Wer kann es wagen, einen Menschen, diesen Jesus aus Nazareth, einfach Gott gleichzustellen! Bis heute ist das der anstößigste Punkt für Juden und Muslime. Sie sehen hier eine Gefahr für den Eingottglauben. Deshalb wurde Stephanus gesteinigt. Deshalb musste er sterben.
Warum aber war sein Tod so kostbar, dass der Künstler ihn durch Edelsteine symbolisierte? Weil er sterbend für seine Steiniger gebetet hat: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an.“ Wie ging es wohl dem Saulus, als er das hörte? Es muss ihn doch erschüttert haben. Dieser strahlende, gescheite junge Mann starb nicht wie ein blinder Fanatiker oder gar ein Selbstmordattentäter. Er verzieh sterbend seinen Feinden und betete noch für sie! Und er tat es, weil dieser Mann aus Nazareth das so gelehrt hatte, ja, weil er selber seinen Kreuzigern verziehen hatte. War also dessen Lehre doch nicht so falsch?
Es sollte noch eine Weile dauern, bis Jesus selber aus seinem Verfolger Saulus seinen Jünger und Apostel Paulus machte. Die Bekehrung des Paulus hat aber Stephanus erbeten - und erhalten! Deshalb ist sein Tod so kostbar. Nicht nur für Paulus. Auch für uns. Heiliger Stephanus, bete auch für mich! Und meine Bekehrung!
Nehmt euch aber vor den Menschen in acht!
Denn sie werden euch vor die Gerichte bringen und in ihren Synagogen auspeitschen. Ihr werdet um meinetwillen vor Statthalter und Könige geführt, damit ihr vor ihnen und den Heiden Zeugnis ablegt.
Wenn man euch vor Gericht stellt, macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt; denn es wird euch in jener Stunde eingegeben, was ihr sagen sollt. Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden.
Brüder werden einander dem Tod ausliefern und Väter ihre Kinder, und die Kinder werden sich gegen ihre Eltern auflehnen und sie in den Tod schicken
Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden; wer aber bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.