Moment! Den kennen wir doch! Der ist doch einer von uns! Wieso soll der etwas Besonderes sein?
Moment! Den kennen wir doch! Der ist doch einer von uns! Wieso soll der etwas Besonderes sein?
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 4. Sonntag im Jahreskreis, 28. Januar 2007,
(Lk 4,21-30)
Jesus zu Hause! In Nazareth, wo er aufgewachsen ist, wo die Seinen leben, die Verwandten, seine Mutter Maria. Joseph, sein Ziehvater scheint schon gestorben zu sein. Hier kennen ihn alle: seine Spielkameraden, seine Mitschüler, seine Arbeitskollegen. Und wie es bis heute geblieben ist: Sie glauben ihn wirklich zu kennen. Doch wer von uns weiß, was im anderen "drinsteckt". Ist unser Wissen voneinander und übereinander nicht meist sehr oberflächlich, allgemein, von festen Vorurteilen geprägt?
Jesus hat die Seinen überrascht. Vor einiger Zeit ist er plötzlich weggezogen, hinunter an den See, nach Kafarnaum. Er hat zu predigen begonnen, Wunder geschehen, Heilungen. Unglaubliche Dinge erzählt man sich von ihrem Mitbürger. Sein Ruf verbreitet sich über die Landesgrenzen. Scharen kommen, wo immer er auftritt.
Und nun sein erster "Heimatbesuch". Alle sind gespannt. Die Synagoge am Sabbat ist voll wie sonst nie. Alle schauen auf ihn. Er liest aus der Bibel vor. Eine Stelle aus dem Propheten Jesaja. Sie kündigt an, dass eine gute Zeit kommen werde, eine Zeit der Heilung und es Heils für alle. Und dann sagt Jesus: Jetzt ist diese Zeit da. Ich bin der verheißene Heiland.
Alle sind beeindruckt. Seine Worte bewegen. Doch dann kommen Zweifel auf: Moment! Den kennen wir doch! Der ist doch einer von uns! Wieso soll der etwas Besonderes sein? Der ist doch nur der Sohn des Zimmermanns Joseph. Die Mischung ist gefährlich: stolz auf den berühmten Sohn der Heimat - und zugleich Eifersucht und Neid. Er soll sich nicht für etwas Besseres halten!
Jesus muss diese zwiespältige Haltung gespürt haben. Zeig doch, was du kannst! Mach auch bei uns ein paar tolle Wunder! Wir wollen sehen, ob das stimmt, was überall von dir berichtet wird. Warten wir einmal ab, ob wir ihm trauen können. Sie gehen auf kritische Distanz. Sie lassen sich nicht auf ihn ein.
Jesus geht darauf aufs Ganze. Er provoziert sie. Er sagt ihnen auf den Kopf zu, was inzwischen zu einem Sprichwort geworden ist: Kein Prophet gilt etwas in seiner Heimat. Das war schon früher so. Wunder wirkten die alten Propheten bevorzugt unter den Fremden, nicht bei den eigenen Leuten.
Wie schnell schlägt die Stimmung um. Wutentbrannt wollen sie ihn umbringen. Sie treiben ihn aus der Stadt hinaus, versuchen ihn zu töten. Doch er geht souverän mitten durch sie, um nie mehr nach Nazareth heimzukehren.
Was für ein Spiegel! Es lohnt sich, hineinzuschauen. Auch wenn die Erkenntnis schmerzlich ist. Ich sehe in diesem Spiegel unsere österreichische Situation. Jesus war hier zu Hause. So vieles im Land spricht von Ihm, ist christlich geprägt. Aber wir gehen auf kritische Distanz. Abwarten und Tee trinken. Zu Seinem "Verein", der Kirche, verhalten wir uns nach dem Motto: "Eh schon wissen." Alle alten Vorurteile werden gepflegt. Und dann wundern wir uns, wenn Jesus bei uns seinerseits auf Distanz geht. Er tut auch heute seine Wunder. Er heilt und befreit. Er schenkt Freude und neues Leben. Aber nicht dort, wo man österreichisch-neutral auf Abstand bleibt. Da geht er weg. Da lässt er uns stehen. Andere freuen sich auf sein Kommen. Warten schon auf ihn.
Liebe Leser! Ist mein Urteil ungerecht? Ich hoffe es. Ich hoffe, dass Österreich nicht Nazareth ist.
Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt. Seine Rede fand bei allen Beifall; sie staunten darüber, wie begnadet er redete, und sagten: Ist das nicht der Sohn Josefs?
Da entgegnete er ihnen: Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Wenn du in Kafarnaum so große Dinge getan hast, wie wir gehört haben, dann tu sie auch hier in deiner Heimat!
Und er setzte hinzu: Amen, das sage ich euch: Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt.
Wahrhaftig, das sage ich euch: In Israel gab es viele Witwen in den Tagen des Elija, als der Himmel für drei Jahre und sechs Monate verschlossen war und eine große Hungersnot über das ganze Land kam. Aber zu keiner von ihnen wurde Elija gesandt, nur zu einer Witwe in Sarepta bei Sidon.
Und viele Aussätzige gab es in Israel zur Zeit des Propheten Elischa. Aber keiner von ihnen wurde geheilt, nur der Syrer Naaman.
Als die Leute in der Synagoge das hörten, gerieten sie alle in Wut. Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, und wollten ihn hinabstürzen.
Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.