Demut heißt vor allem, Mut zur Wahrhaftigkeit.
Demut heißt vor allem, Mut zur Wahrhaftigkeit.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 4. Sonntag der Osterzeit, 29. April 2007,
(Joh 10,27-30)
Die kurzen Worte des heutigen Evangeliums stehen in der so genannten "Hirtenrede" Jesu. Er bezeichnet sich da als "der gute Hirte". Er redet von sich selber in ganz positiven Worten. Ist das Eigenlob? Wirkt das nicht ein wenig peinlich, wenn jemand so selbstsicher von sich nur Gutes sagt? Wo bleibt da die Demut? Hat Jesus nicht gewarnt: "Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden."
Demut heißt vor allem, Mut zur Wahrhaftigkeit. Ich las einmal, dass Mozart sich gelegentlich als den Besten unter den Musikern bezeichnete. Das war keine Überheblichkeit, sondern schlicht die Wahrheit. Er war der Beste! Dazu zu stehen und Gott aufrichtig dafür zu danken (was Mozart immer tat!), das ist echte Demut.
Jesus macht sich nicht selber groß. Er ist wirklich "der gute Hirte". Was er von sich sagt, ist durch sein Leben gedeckt. Man nennt auch uns Bischöfe "Hirten". Oft werde ich "Oberhirte" genannt. Bischof, Priester sein ist "Hirtendienst". Aber ich wäre überheblich und anmaßend, wollte ich mich selber einfach als "der gute Hirte" bezeichnen.
Was Jesus heute von sich selber sagt, kann keiner der "geistlichen Hirten" für sich beanspruchen. Keiner von uns "Hirten" kann von sich behaupten: "Ich geben ihnen ewiges Leben." Jesus kann es. Er tut es. Nicht erst nach dem Tod schenkt er das ewige Leben. Was Menschen schon jetzt mit Jesus erfahren können, ist mehr als was sie von ihren "Hirten" bekommen können.
Prälat Leopold Ungar, der legendäre österreichische Caritas-Präsident, wurde recht zornig, wenn wir Bischöfe "Oberhirten" genannt wurden. Er erinnerte immer daran: Nur Christus ist unser Oberhirte, die anderen sind seine Diener und Beauftragten.
"Meine Schafe hören auf meine Stimme", sagt Jesus, der gute Hirte. Und so ist es. Menschen haben oft ein feines Gespür, ob wir "Hirten", Bischöfe, Priester, Kirchenleute nur unsere eigenen Ideen verbreiten, oder ob Jesu Stimme bei uns durchklingt. Und wie wichtig ist es, auf "die innere Stimme" zu hören! Oft ermutige ich gerade junge Menschen, hinzuhören auf das, was Gott ihnen im Herzen sagt, wenn sie es still werden lassen und sich Zeit nehmen, auf Ihn zu horchen.
"Ich kenne sie und sie folgen mir." Das ist keine Drohung: Dass Jesus mich kennt wie kein anderer, dass Er weiß, was in mir ist und wer ich bin, hat nichts Erschreckendes. Er ist nicht der drohende, alles kontrollierende Allwissende, mit dem man früher gerne Angst gemacht hat. "Du kennst mich durch und durch", nicht als Richter, sondern als Hirte. Meine Nöte und Sorgen, meine Stärken und Schwächen, und auch mein Versagen: "Alles kennt deine gute Hirtensorge um mich! Was soll mich also ängstigen? Niemand wird mich deiner Hand entreißen! In deiner Hand bin ich geborgen! Das ist die Osterbotschaft vom "Gut-Hirten-Sonntag". Wie sehr wünsche ich mir, dass viele sie erfahren können. Für mich ist sie der tragende Grund meines Lebens.
Am Schluss dieses kurzen Evangeliums steht ein Wort, das noch einmal wie eine Anmaßung klingt: "Ich und der Vater sind eins." Nicht nur "einig", sozusagen als verstünde sich Jesus gut mit Gott. Nein, "eins" sei er mit Gott dem Vater. Darum haben viele damals Anstoß genommen. Wie kann ein Mensch solches von sich sagen? Jesus ist nicht nur Mensch, sondern Gott und Mensch. Sein Wort ist Gottes Wort, und seine Liebe zu uns ist Gottes Liebe. Nur deshalb ist er wirklich mein guter Hirte!
Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie und sie folgen mir.
Ich gebe ihnen ewiges Leben.
Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen.
Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen. Ich und der Vater sind eins.