Die Einheit, die Jesus lebt und für uns wünscht, gelingt nur dort, wo jeder bereit ist, dem anderen Raum zu geben.
Die Einheit, die Jesus lebt und für uns wünscht, gelingt nur dort, wo jeder bereit ist, dem anderen Raum zu geben.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 7. Sonntag der Osterzeit, 20. Mai 2007,
(Joh 17,20-26)
Man nennt das Testament auch "den letzten Willen". Wenige Stunden vor seinem Tod spricht Jesus ein großes, inniges Gebet. Der Schlussteil bildet das heutige Evangelium. Hier, im Abendmahlssaal in Jerusalem, zum Abschluss des Pessach-Mahles, des jüdischen Ostermahles, fasst Jesus alles zusammen, was ihm am Herzen liegt. Er spricht seinen "letzten Willen" aus.
Doch ist es ein Testament besonderer Art. Normalerweise enthält es Anweisungen, wie mit dem Nachlass umzugehen ist, wer was bekommt, wie das Erbe aufzuteilen ist. Jesu Testament ist ein Gebet. Materiellen Besitz hatte Jesus nicht zu vererben. Seine Verlassenschaft ist geistiger Art. Sein Wort, seine Botschaft, sein Evangelium ist sein Erbe. Was werden die Erben daraus machen? Wird das Evangelium ihr Leben bestimmen? Oder werden sie es verfälschen, verraten, verschleudern? Wird man in den Christen Christus erkennen?
Spürt Jesus in dieser Stunde seine Ohnmacht? Eltern können nicht erzwingen, dass ihre Kinder sich vertragen. Sie können es nur erhoffen. Und sie können ihre Kinder bitten: Haltet Frieden untereinander! Liebt einander! Und sie können darum beten. Sie können sie Gott anvertrauen. Das tut Jesus in der Stunde des Abschieds. Er bittet inständig Gott seinen Vater für alle seine "Erben", die Apostel, die jetzt mit ihm Mahl halten, und für alle die vielen, die später einmal an ihn glauben werden. Er betet für alle Generationen der künftigen Gläubigen.
Beten heißt vor allem bitten. Warum nicht eher danken und loben? Wir machen alle die Erfahrung, dass wir vieles nicht selber im Griff haben. So manches liegt nicht in unserer Macht. Eltern können viel für ihre Kinder tun, aber nicht alles. Deshalb beten Eltern für ihre Kinder. Sie vertrauen sie dem Schutz und Segen Gottes an. Und sie trauen damit Gott zu, dass Er es kann. Wer Gott bittet, anerkennt, dass Er die Bitte erfüllen kann. Darin liegen auch Lob und Dank an Gott: Ja, ich glaube und vertraue, dass Du helfen kannst.
Wie Eltern im Gebet ihre Kinder Gott ans Herz legen, so bittet Jesus für seine "Kinder", für alle, die an ihn glauben und so zu seiner Familie gehören. Was aber erbittet er von Gott seinem Vater für seine "Familie"? Das, was Eltern sich für ihre Kinder wünschen: dass sie "eines Sinnes" bleiben, "ein Herz und eine Seele".
Hat sich Jesu letzter Wille erfüllt? Oder musste er erleben, dass sein Testament nicht befolgt wurde? Hat Gott seine Bitte nicht erhört?
Die Bilanz ist bitter: zweitausend Jahre Christenheit. Viel Großes, Schönes, aber auch eine lange Serie von Spaltungen unter denen, die den Namen Christi tragen. Und kein Ende in Sicht. Die Wiedervereinigung aller Christen ist nicht absehbar. Hat Jesus vergeblich gebetet? Oder schaffen es die Christen nicht, sich zu vereinigen?
Oder liegt es daran, dass wir immer neu lernen müssen, was es heißt, "eins" zu sein? Jesus hat gebetet, dass seine Jünger eins sein mögen, wie er mit Gott eins ist. Einheit nicht als Macht, sondern als gegenseitiger Dienst. Wie sollen wir einig sein, wenn jeder der Erste sein will? Die Einheit, die Jesus lebt und für uns wünscht, gelingt nur dort, wo jeder bereit ist, dem anderen Raum zu geben. Diese Einheit schafft nur die Liebe. Und die muss immer neu errungen werden. Ein Leben lang. Darum betet Jesus - bis heute!
Aber ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben.
Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.
Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir.
So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich. Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor der Erschaffung der Welt.
Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt, und sie haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin.