Kommentar von Kardinal Schönborn
zur Lesung am Pfingstsonntag, 27. Mai 2007,
(Apg 2,11-11)
Es gibt nichts Heimatlicheres als die Sprache, mit der man von Kind auf vertraut war. Nicht umsonst nennen wir sie die "Muttersprache". Auch wenn ich als Heimatvertriebener in der neuen Heimat, in Vorarlberg, im schönen Montafon, ein "Zuagroaster" bin, so macht es mir doch sofort ein ganz heimatliches Gefühl, wenn ich den Dialekt unseres Tales höre.
In Jerusalem müssen damals viele Menschen eine ähnliche, überraschende Erfahrung gemacht haben. Sie waren aus allen Teilen der damaligen Welt als Pilger zum jüdischen Fest "Schavuot" gekommen, zum so genannten "Wochenfest", genau fünfzig Tage nach dem jüdischen Osterfest. Was an diesem Tag geschah, ist so etwas wie die Geburtsstunde der Kirche. Aus einer kleinen Gruppe von etwa 120 Personen, dem Kreis derer, die schon mit Jesus verbunden waren, wurde in kürzester Zeit eine Schar von über 3.000 Menschen. Wie erklärt sich dieser "boom"?
Am Vormittag dieses Tages geschah es: seltsame Phänomene, heftiger Sturm, ein Getöse, Feuerflammen und ein "Sprachenwunder". Die Anhänger Jesu, großteils aus Galiläa, sprachen einen offensichtlich allen erkennbaren Dialekt. "Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören?", so fragen sich die Leute verwundert. Wörtlich heißt es: "Wieso kann sie jeder von uns im eigenen Dialekt hören, in dem wir geboren wurden?"
Was war dieses Sprachenwunder? Dass die Männer aus Galiläa plötzlich eine unfassbare Sprachbegabung an den Tag gelegt hätten? Dass sie auf einmal alle die anderen Sprachen bestens beherrscht hätten? Das wird es kaum gewesen sein. Vielmehr, so glaube ich, ist das, was die Apostel den neugierig zusammengelaufenen Menschen gesagt haben, "rübergekommen". Es hat die Leute angesprochen.
Die Apostel sprachen von Jesus, von dem, was geschehen war, seinem Wirken, wie man ihn abgelehnt und gekreuzigt, wie Gott ihn aber auferweckt hat. Und das hat offensichtlich die Leute ins Herz getroffen.
Oft ist das, was wir Prediger sagen, für viele Zuhörer wie eine Fremdsprache, kommt ihnen "spanisch" vor, oder gar "chinesisch". Manchmal aber geschieht es, dass das Wort "durchkommt", "ankommt", dass es betroffen macht, berührt, vertraut klingt, wie ein Klang aus der Heimat, wie die Sprache, in der man zu Hause ist. Und dass es auf einmal verstanden wird.
So etwas muss damals an dem ersten christlichen Pfingstfest geschehen sein. Niemals wäre die Botschaft Jesu in die ganze Welt hinausgegangen, hätte sie nicht immer neu die Sprache der Herzen gefunden, so dass sie in den verschiedensten Kulturen und Völkern wirklich heimisch werden konnte. Das Evangelium selber ist das Sprachenwunder. Es kennt keine Sprachgrenzen.
Ich würde das selber nicht glauben können, hätte ich es nicht immer wieder erlebt. Ein solches Pfingstwunder ist für mich A. Sie ist als Flüchtling aus dem Völkermord im afrikanischen Ruanda hier in Österreich irgendwie gestrandet. Ihre neun Kinder und ihr Mann sind zum Teil umgekommen, zum Teil in der Welt verstreut. Sie kann kein Deutsch. Aber eines ist mir bei ihr klar: Das Evangelium ist für sie keine Fremdsprache. Ihr Glaube ist unerschütterlich, tief und durch unglaubliches Leid bewährt. Die Sprachgrenzen hindern nur äußerlich. Die Frohe Botschaft von Jesus und seiner rettenden, befreienden Liebe ist universal. Jeder kann sie in seinem eigenen "Dialekt" verstehen. Denn sie spricht die Muttersprache der Herzen.
Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!
Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite.
Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.