Schwimmen lernt man nur im Wasser. Beten nur durchs Beten.
Schwimmen lernt man nur im Wasser. Beten nur durchs Beten.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 17. Sonntag im Jahreskreis, 29. Juli 2007,
(Lk 11,1-13)
Mich beeindruckt immer neu, wenn ich Menschen beobachte, die im Gebet versunken sind. Da kommt mir immer wieder die Frage: Was ist das eigentlich, das Gebet? Natürlich habe ich eine Ahnung davon. Ich bete seit meiner Kinderzeit. Ich habe das Gebet sozusagen zum Beruf erwählt, denn das Gebet ist (oder sollte) die erste Aufgabe des Priesters, des Bischofs sein.
Und doch ist das Gebet etwas Geheimnisvolles. Das müssen die Apostel gespürt haben, als sie Jesus immer wieder beim Gebet beobachteten. Was geschieht da in seinem Inneren? Wer ist der, mit dem Jesus offensichtlich in einer tiefen Verbindung ist, wenn er betet? So bitten sie ihn, ehrfürchtig und fast scheu: Herr, lehre uns beten!
Jesus lehrt sie beten. Er macht das ganz schlicht und einfach. Er lehrt sie ein Gebet und eine Haltung. Er sagt ihnen, was sie beten sollen und wie, mit welchen Worten und mit welcher Einstellung.
Die Worte sind weltweit bekannt: Er lehrt sie das "Vater unser". Es ist das häufigste Gebet der Christen, das allen Konfessionen gemeinsam ist, bis heute. Der Evangelist Lukas gibt die kürzere Form dieses Gebetes wieder. Wir beten die längere, die Matthäus in der Bergpredigt überliefert hat.
Das "Vater unser" enthält alles Wesentliche, um was wir beten sollen, und auch die richtige Reihenfolge. Ich darf - als Sommerlektüre - das Buch von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI empfehlen: "Jesus von Nazareth". Dort bietet Papst Benedikt einen Kommentar des
"Vater-unser"-Gebetes, der hilft, die so vertrauten Worte tiefer zu erfassen und frisch zu beten.
Jesus lehrt aber auch, wie wir beten sollen. Das Gleichnis, das er dazu erzählt, ist provokant: Lästig sollt ihr Gott sein, so unverschämt wie dieser Freund im Gleichnis, der mitten in der Nacht seinen befreundeten Nachbarn aufweckt, um sich bei ihm Brot für einen unerwarteten Gast auszuborgen. So zudringlich wie dieser Freund sollen wir bei Gott anklopfen.
"Klopft an, dann wird euch geöffnet", verspricht Jesus. Hält er sein Versprechen? Wie viele inständige Kinderbitten, die Mutter möge doch nicht an Krebs sterben! "Wer bittet, der empfängt." Stimmt das?
Eines ist sicher: Immer öffnet das Gebet eine Türe, vor allem die des eigenen Herzens! Und noch eines ist sicher: Kein Gebet "verpufft" ins Leere. Auch dann, wenn es scheinbar nicht erhört wird. An einem Wallfahrtsort steht ein Taferl: "Danke, dass du mich nicht erhört hast!" Manchmal wissen wir nicht, um was wir bitten. Gott weiß besser, was wir brauchen.
Und doch: Selbst große Heilige, wie die mir so liebe Thérèse von Lisieux, wurden von Zweifeln geplagt: Hat das Gebet überhaupt einen Sinn? Ist es nicht eine bloße Selbsttäuschung? Darauf gibt es nur eine Antwort: Versuch es! Tu es! Schwimmen lernt man nur im Wasser. Beten nur durchs Beten. Es ist wunderbar!
Jesus betete einmal an einem Ort; und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie schon Johannes seine Jünger beten gelehrt hat.
Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen. Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Und führe uns nicht in Versuchung.
Dann sagte er zu ihnen: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote; denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen, und ich habe ihm nichts anzubieten!, wird dann etwa der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen, und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben? Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm seine Bitte erfüllt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht.
Darum sage ich euch: Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet.
Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet.
Oder ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn eine Schlange gibt, wenn er um einen Fisch bittet, oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet?
Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten.