Nicht "was hast du?" ist die wichtigste Frage, sondern "wer bist du?" Was nützt dir aller Besitz und die schönste Erbschaft, wenn du dabei deine Seele aufs Spiel setzt?
Nicht "was hast du?" ist die wichtigste Frage, sondern "wer bist du?" Was nützt dir aller Besitz und die schönste Erbschaft, wenn du dabei deine Seele aufs Spiel setzt?
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 18. Sonntag im Jahreskreis 5. August 2007,
(Lk 12,13-21)
Über nichts wird in Familien so bitter gestritten wie über Erbschaftsfragen. Was werden da nicht für Prozesse geführt, wie kommen da nicht alte Verbundenheiten ins Wanken, Wunden werden geschlagen, die oft auf Jahre hinaus nicht verheilen. Und wenn man dann genauer hinschaut, mit ruhigem Kopf und vernünftigem Sinn, dann fragt man sich: hat sich so viel Streit um materielle Dinge wirklich gelohnt?
Kein Wunder, dass jemand Jesus gebeten hat, er möge bei einem Erbschaftsstreit schlichten helfen. Besser einen weisen Vermittler zu finden, als einen teuren Prozess zu zahlen.
Wie so oft hebt Jesus die Frage ins Grundsätzliche: Regelt eure Erbschaftsangelegenheiten selber! Aber eines sage ich euch allen (also auch uns heute): "Hütet euch vor jeder Art von Habgier!" Die Habgier ist ein Götzendienst, wird später der Apostel Paulus sagen. Macht nicht das Haben zu eurem Gott, eurem Götzen! Wichtiger als alles Besitzen und Haben ist das Sein. Nicht "was hast du?" ist die wichtigste Frage, sondern "wer bist du?" Was nützt dir aller Besitz und die schönste Erbschaft, wenn du dabei deine Seele aufs Spiel setzt?
Ein kräftiger Einwand erhebt sich: wenn ich so lebe, dann werde ich über den Tisch gezogen! Habe ich nicht das Recht, um mein gerechtes Erbteil zu kämpfen? Habe ich nicht sogar die Pflicht dazu, wenn es um das Erbe der Familie geht, um das Wohl der nächsten Generation? Ich kann ja vielleicht für mich "den Blöden spielen" und mich im Erbstreit übervorteilen lassen. Aber habe ich das Recht, meine Kinder zu Schaden kommen zu lassen?
Stimmt alles! Und natürlich wird es weiter, bis zum Ende der Zeit, Erbstreitereien geben, und jeder wird behaupten, im Recht zu sein, und gute Gründe zu haben. Aber Jesus erinnert unerbittlich an eine Wahrheit, die jeden einholt, "der nur für sich selber Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist", wie Jesus sagt. Um diese Wahrheit wissen wir alle, auch wenn wir sie gerne verdrängen: von allem, was wir erworben, und auch von dem, was wir ererbt haben, müssen wir uns einmal trennen. Nichts werden wir mit "hinüber" nehmen können, gar nichts. Außer dem, was vor Gott Bestand hat.
Das Gleichnis von dem reichen Mann mit seiner Superernte passt gut in unsere Zeit. Wachstum ist der große Gott der Wirtschaft: Jedes Jahr noch mehr, noch größeren Profit (nur bei den Arbeitsplätzen wird es Jahr für Jahr weniger). Nur das Wachstum, so wird überall gesagt, hält die Wirtschaft auf Schwung. Das mag schon so sein. So viele Experten behaupten es. Aber der Hausverstand sagt mir: es gibt auf dieser Erde kein grenzenloses Wachstum. Kein Baum, kein Tier, kein Mensch kann unbegrenzt wachsen. Immer kommt die Zeit des Sterbens. Langsam, mit dem Alter, oder urplötzlich, unerwartet, "noch in dieser Nacht". Hast du nie daran gedacht? Dann nennt dich Jesus ganz trocken: "Du Narr!" Im Licht des Todes betrachtet ist vieles, über das wir uns aufregen, eine Narretei. Alles im Blick auf das Sterben betrachten, das hilft uns, die Dinge ins rechte Maß zu rücken, auch leidige Erbstreitereien!
Einer aus der Volksmenge bat Jesus: Meister, sag meinem Bruder, er soll das Erbe mit mir teilen. Er erwiderte ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Schlichter bei euch gemacht?
Dann sagte er zu den Leuten: Gebt acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt.
Und er erzählte ihnen folgendes Beispiel: Auf den Feldern eines reichen Mannes stand eine gute Ernte. Da überlegte er hin und her: Was soll ich tun? Ich weiß nicht, wo ich meine Ernte unterbringen soll. Schließlich sagte er: So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen; dort werde ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen. Dann kann ich zu mir selber sagen: Nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink, und freu dich des Lebens!
Da sprach Gott zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast?
So geht es jedem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist.