Es gibt so viele Gründe, wofür wir Gott danken können.
Es gibt so viele Gründe, wofür wir Gott danken können.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 30. Sonntag im Jahreskreis 28. Oktober 2007,
(Lk 18,9-14)
Meine Lieblingstante Hanni pflegte uns zu erzählen, sie habe von Kind an Gott gedankt, dass sie als Mädchen auf die Welt gekommen ist und nicht als Bub. Und sie begründete das auch: Als Kind hatte sie die Schrecken des 1. Weltkriegs erlebt (die Gräuel des 2. Weltkriegs blieben ihr auch nicht erspart, samt der danach gekommenen Heimatvertreibung). Schon als Kind wusste sie: Buben müssen in den Krieg, Mädchen nicht. Und so dankte sie Gott von klein auf, als Mädchen geboren zu sein.
Es ist gut, Gott zu danken für das, was wir sind. Ich bin Gott dankbar, in Österreich leben zu dürfen, und nicht in Nordkorea oder Zimbabwe leben zu müssen. Es gibt so viele Gründe, wofür wir Gott danken können.
Was ist dann falsch am Gebet des Pharisäers? Auch er dankt Gott. Er ist ein frommer Jude. Ein tiefgläubiger Mann. Er nimmt seine Religion ernst. Gleich zweimal die Woche fastet er. Und das heißt wirklich fasten, also echte Opfer bringen. Nicht so wie wir es heute tun (viele von uns), dass wir nur fasten, wenn es um die Linie, die Figur geht. Und er zahlt einen "saftigen", kräftigen "Kirchenbeitrag". Bei uns ist er ja vergleichsweise gering.
Unser guter Pharisäer aber zahlt fast das Zehnfache, den zehnten Teil seines Einkommens. Er lässt sich wirklich seine Religion etwas kosten. Und er ist bereit, dafür auch gesellschaftliche Nachteile auf sich zu nehmen. Er war als frommer Jude nicht bereit, alle möglichen Kompromisse mit der römischen Besatzungsmacht zu schließen.
Und doch hat die Sache einen Haken. In seiner Frömmigkeit war ein Wurm, der alles verdarb. Er vergleicht sich mit anderen. Und verachtet sie, weil sie nicht fromm sind, nicht so wie er. Er schaut von der Höhe seiner Frömmigkeit auf all das Sündengewirr unten in den Niederungen der Welt herab, auf all "die Räuber, Betrüger, Ehebrecher …"
Er verachtet sie nicht nur im Allgemeinen, sondern auch "den da hinten", den Zöllner, diesen Steuereintreiber, diesen Halsabschneider, der den armen Leuten bis aufs Blut ihr letztes Geld herauspresst. Zu Recht werden sie vom Volk gehasst und gefürchtet. Die Leute haben ja wirklich unter den "Zöllnern" zu leiden. Ehrlich, wer von uns kennt das nicht, solche abschätzigen Urteile über andere?
Aber genau das ist es, was Jesus uns ins Stammbuch schreibt: Frommsein und andere verachten - das geht einfach nicht zusammen. Auch wenn es noch so berechtigt scheint, noch so viele "gute Gründe" gibt, sich besser vorzukommen als andere. Der Pharisäer ist ja auch besser als der Zöllner. Er tut viel Gutes und lebt ein anständiges Leben. Nur eines fehlt ihm: Barmherzigkeit!
Und um die bittet der Zöllner. Er weiß, dass er kein anständiges Leben führt. Er weiß, dass er vor Gott armselig dasteht. Er weiß, dass er keinen Grund hat, andere zu verachten. Er weiß, dass die anderen allen Grund haben, ihn zu verachten: "Gott, sei mir Sünder gnädig!" Und Gott ist diesem armen Sünder gnädig. Warum sind wir so ungnädig mit den armen Sündern?
In jener Zeit erzählte Jesus einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, dieses Beispiel:
Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen Einkommens.
Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.