Ganz lebendig sein, Leben in Fülle, Leben in Gott: Das heißt "ewiges Leben".
Ganz lebendig sein, Leben in Fülle, Leben in Gott: Das heißt "ewiges Leben".
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 32. Sonntag im Jahreskreis, 11. November 2007,
(Lk 20,27-38)
Gibt es ein Leben nach dem Tod? Gibt es eine "Auferstehung von den Toten"? Was kommt "danach"? Was steht hinter der Tür des Todes, durch die wir alle gehen müssen?
Ich glaube, die größte Schwierigkeit mit dem Glauben an das "Jenseits" kommt daher, dass wir es uns so gar nicht vorstellen können. Kinder stellen oft Fragen, die auch uns Erwachsene in Verlegenheit bringen, die uns zeigen, wie wenig wir selber begreifen können, was nach dem Tod kommt. Etwa diese Kinderfrage: "Werden wir im Himmel alt oder jung sein?" Wie wird ein Baby, das stirbt, "drüben" sein? Und wie ein 95-Jähriger? Oder die Frage: "Wo sind denn all die Toten?" Ja, wo sind sie wirklich? Wir sagen: "bei Gott!" Aber was heißt das?
Woody Allen, mit seinem beißenden Humor, hat gesagt: "Die Ewigkeit dauert ziemlich lange, besonders gegen das Ende zu". Wir können uns "Ewigkeit" einfach nicht vorstellen. Deshalb ist es ganz verkehrt, sich einen möglichst langen Zeitraum auszudenken und dann zu sagen: das war jetzt eine Sekunde der Ewigkeit. Manche lehnen den Gedanken an ein ewiges Leben deshalb ab, weil ihnen der Ausblick auf eine endlose Zeit unerträglich erscheint. Lieber ganz tot sein, Ruhe von allem. Einfach Nichts. Ende und aus! Zu grotesk ist die Vorstellung, man müsse ständig auf Wolken sitzen und Halleluja singen.
Die Sadduzäer, von denen heute die Rede ist, machen sich mit ähnlichen Argumenten über die Idee der Auferstehung lustig. Nach alttestamentlichem Gesetz gibt es die sogenannte "Leviratsehe": Stirbt ein Mann kinderlos, so soll sein Bruder die Witwe heiraten und ihm Nachkommen zeugen. So heiraten der Reihe nach sieben Brüder dieselbe Frau, nachdem jeder kinderlos gestorben ist. Wem wird sie dann im Himmel "gehören"? Spöttisch fragen sie, ob denn im Paradies eine Frau gleich sieben Männer haben darf.
Jesus antwortet ganz ruhig. Er erinnert an das, was wir uns alle sagen müssen: Das jenseitige Leben ist nicht einfach die Fortsetzung des jetzigen Lebens. Es ist ganz anders. Weil es ewiges Leben ist. "Die Toten können nicht mehr sterben". Unser Leben auf Erden ist ein ständiges Werden und Vergehen, ein Wachsen und ein Absterben. Es eilt dahin im schnellen Fluss der Zeit.
"Nur in dieser Welt heiraten die Menschen", erinnert Jesus. Kinderkriegen und Sterben gehören zusammen. Eine Generation folgt auf die andere. Wer kennt nicht die Erfahrung der Vergänglichkeit! Wie schnell ist die Kindheit vorbei, wie schnell kommt das Alter! Was bleibt? Was hält im Strom der Zeit?
Gott allein bleibt. Er wandelt sich nicht. "Du aber bleibst, der du bist", so heißt es im Psalm 101. Jesus verweist auf das Erlebnis, das Moses in der Steppe hatte. Er sah einen Dornbusch, der brannte, aber nicht verbrannte. Als er näher kam, hörte er eine Stimme, die er als die Stimme Gottes verstand. "Ich bin der ich bin", so nannte Er sich selber. "Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden", sagt Jesus. Wie werden wir "Lebende" sein nach unserem Tod? Sicher nicht so wie jetzt, wo der Tod auf uns wartet. Können wir es uns doch ein klein wenig vorstellen? Ich glaube schon. Jesus sagt es: "Für Gott sind alle lebendig." Ganz lebendig sein, Leben in Fülle, Leben in Gott: Das heißt "ewiges Leben".
In jener Zeit kamen einige von den Sadduzäern, die die Auferstehung leugnen, zu Jesus und fragten ihn: Meister, Mose hat uns vorgeschrieben: Wenn ein Mann, der einen Bruder hat, stirbt und eine Frau hinterlässt, ohne Kinder zu haben, dann soll sein Bruder die Frau heiraten und seinem Bruder Nachkommen verschaffen.
Nun lebten einmal sieben Brüder. Der erste nahm sich eine Frau, starb aber kinderlos. Da nahm sie der zweite, danach der dritte, und ebenso die anderen bis zum siebten; sie alle hinterließen keine Kinder, als sie starben. Schließlich starb auch die Frau. Wessen Frau wird sie nun bei der Auferstehung sein? Alle sieben haben sie doch zur Frau gehabt.
Da sagte Jesus zu ihnen: Nur in dieser Welt heiraten die Menschen. Die aber, die Gott für würdig hält, an jener Welt und an der Auferstehung von den Toten teilzuhaben, werden dann nicht mehr heiraten. Sie können auch nicht mehr sterben, weil sie den Engeln gleich und durch die Auferstehung zu Söhnen Gottes geworden sind.
Dass aber die Toten auferstehen, hat schon Mose in der Geschichte vom Dornbusch angedeutet, in der er den Herrn den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs nennt.
Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn sind alle lebendig.