Jesus macht uns Mut, die Schwierigkeiten im eigenen Leben nicht als Strafe zu sehen, nicht als bloßes Unglück.
Jesus macht uns Mut, die Schwierigkeiten im eigenen Leben nicht als Strafe zu sehen, nicht als bloßes Unglück.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 4. Fastensonntag,
30. März 2014 (Joh 9,1-3.6-9.13-17.34-38)
Wer ist schuld an all der Not in der Welt? Warum gibt es Behinderte von Geburt an? Warum kommt ein Kind blind auf die Welt? Solche Fragen haben seit eh und je die Menschen bewegt. Und immer neu kommt die Frage auf: Wer ist daran schuld? Heute lautet die Frage oft: Wenn Gott gut ist, warum lässt er dann das Leid zu? Damals fragten sich die Menschen: Die Behinderung muss eine Strafe Gottes sein! Wer also hat diese Strafe verdient? „Wer hat gesündigt“, dass dieser Mann blind geboren wurde, so fragen die Jünger Jesus, als sie diesen Bettler sehen. „Er selbst? Oder haben seine Eltern gesündigt, sodass er blind geboren wurde?“
Sagen wir nicht, das gibt es heute nicht mehr. Ich kenne Eltern von behinderten Kindern, denen „superfromme“ Leute doch tatsächlich sagen: Gott hat euch gestraft, weil ihr das und das getan habt! Deshalb ist das Kind behindert. Manchmal kommt die schmerzliche Frage auch im Herzen der Eltern auf: Haben wir etwas falsch gemacht? Ist die Behinderung unseres Kindes vielleicht doch unsere Schuld, die Strafe dafür?
Jesu Antwort ist klar: „Weder er, der Blindgeborene, noch seine Eltern haben gesündigt.“ Jesus richtet den Blick nicht nach hinten, sondern nach vorne. Nicht die Frage: Warum? Sondern: Wozu? Jesus lädt seine Jünger, und damit auch uns heute ein, nicht in der Vergangenheit herum zu graben, sondern in die Zukunft zu schauen: An dem Behinderten „soll das Wirken Gottes offenbar werden“.
Jesus will unseren Blick wenden und wandeln. Sieh nicht zuerst das Unglück, sondern die Chance. Nun mag man einwenden: Dieser Blinde hat Glück gehabt. Jesus hat ihn auf wunderbare Weise geheilt. Aber wie viele bleiben ihr Leben lang blind oder behindert? Wo ist da die Chance?
Jesus will mit der Heilung des Blindgeborenen etwas zeigen, das für alle gilt: Jeder geht mit Lasten und Bürden durchs Leben. Auch die Gesunden haben ihre Wunden, seelischer Art. Körperliche Gesundheit ist kostbar, aber nicht alles. Jesus hat nicht nur dem Blinden die Augen geöffnet. Er will auch uns ein neues Sehen schenken. Er möchte, dass wir das Wirken Gottes auch in unserem eigenen Leben entdecken.
Ich denke bei diesem Evangelium an liebe Freunde, deren letztes, fünftes Kind, mit Down Syndrom, Trisomie 21, zur Welt kam. Sie sagen immer: Dieses Kind ist unser Sonnenschein. Und tatsächlich ist es so. Seine Eltern und Geschwister fragen sich nicht: Hat Gott uns gestraft? Sie sehen, wie sehr ihr Leben durch dieses Kind bereichert wurde.
Jesus macht uns Mut, die Schwierigkeiten im eigenen Leben nicht als Strafe zu sehen, nicht als bloßes Unglück. Letztlich sind es gerade jene Nöte, die uns dorthin führen können, wohin schließlich der Blindgeborene fand: Herr, ich glaube!
In jener Zeit sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war.
Da fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst? Ober haben seine Eltern gesündigt, so dass er blind geboren wurde?
Jesus antwortete: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden.
Jesus spuckte auf die Erde; dann machte er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn dem Blinden auf die Augen und sagte zu ihm: Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach! Schiloach heißt übersetzt: Der Gesandte.
Der Mann ging fort und wusch sich. Und als er zurückkam, konnte er sehen. Die Nachbarn und andere, die ihn früher als Bettler gesehen hatten, sagten: Ist das nicht der Mann, der dasaß und bettelte? Einige sagten: Er ist es. Andere meinten: Nein, er sieht ihm nur ähnlich. Er selbst aber sagte: Ich bin es. Da brachten sie den Mann, der blind gewesen war, zu den Pharisäern.
Es war aber Sabbat an dem Tag, als Jesus den Teig gemacht und ihm die Augen geöffnet hatte. Auch die Pharisäer fragten ihn, wie er sehend geworden sei. Der Mann antwortete ihnen: Er legte mir einen Teig auf die Augen; dann wusch ich mich, und jetzt kann ich sehen.
Einige der Pharisäer meinten: Dieser Mensch kann nicht von Gott sein, weil er den Sabbat nicht hält. Andere aber sagten: Wie kann ein Sünder solche Zeichen tun?
So entstand eine Spaltung unter ihnen. Da fragten sie den Blinden noch einmal: Was sagst du selbst über ihn? Er hat doch deine Augen geöffnet. Der Mann antwortete: Er ist ein Prophet. Sie entgegneten ihm: Du bist ganz und gar in Sünden geboren, und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus.
Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn? Der Mann antwortete: Wer ist das, Herr? Sag es mir, damit ich an ihn glaube. Jesus sagte zu ihm: Du siehst ihn vor dir; er, der mit dir redet, ist es.
Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder.