Sie hat den Mann gefunden, der sie nicht gebraucht, nicht missbraucht, nicht verurteilt, obwohl er weiß, wie missglückt ihr Leben war. Sie hat Jesus gefunden.
Sie hat den Mann gefunden, der sie nicht gebraucht, nicht missbraucht, nicht verurteilt, obwohl er weiß, wie missglückt ihr Leben war. Sie hat Jesus gefunden.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 3. Fastensonntag,
23. März 2014 (Joh 4, 5-19.28-30.39)
Die Begegnung Jesu mit der Frau am Jakosbrunnen in Samarien gehört für mich zu den bewegendsten Szenen im Evangelium. Es ist die Mittagszeit, die heißeste Stunde des Tages. Jesus ist erschöpft vom Fußmarsch und setzt sich an den Brunnenrand. Er ist alleine. Da kommt eine Frau, alleine, um Wasser zu schöpfen. Niemand geht um diese Tageszeit zum Brunnen. Am Morgen und am Abend, vor oder nach der Tageshitze, drängen sich die Frauen des Ortes, um in ihren Tonkrügen Wasser zu holen. Diese Frau weiß, warum sie die anderen Frauen meidet. Alle wissen um ihren Lebenswandel und tratschen natürlich darüber. Sie schämt sich, fühlt sich verurteilt, verachtet, ausgeschlossen, und deshalb schließt sie sich selber vorsichtshalber aus.
Da begegnet sie diesem Mann, der alleine am Brunnen sitzt. Sie wundert sich, dass er, ein Mann, ein Jude, sie, eine Frau, eine Samariterin, anspricht, gegen alle Gepflogenheit: "Gib mir zu trinken!" Er spricht sie nicht nur an, er bittet sie um Hilfe, um einen Dienst. All das berührt ihr wundes Herz. Keine Verachtung, keine Ablehnung ist in seinem Verhalten ihr gegenüber zu spüren. Er spricht zu ihr von einem anderen Wasser, von einem Durst, den kein Brunnenwasser stillen kann. Sie missversteht ihn anfangs. Gerne hätte sie eine Wasserquelle, die ihr die Mühe des Wasserholens ersparen würde. Wir machen uns ja kaum eine Vorstellung, wie mühevoll der Alltag von Millionen von Menschen ist, die oft weite Wege haben um zu einer Wasserquelle zu kommen und dann mit einem Krug Wasser wieder zurück gehen. Es tut uns gut, gelegentlich an diese Menschen zu denken, wenn wir einfach den Wasserhahn aufdrehen.
Unvermittelt sagt Jesus zur Samariterin: "Geh, ruf deinen Mann, und komm wieder her!" Die Antwort dieser Frau erschüttert mich: "Ich habe keinen Mann." Lügt sie? Sie hat doch, wie Jesus ihr auf den Kopf zu sagt, schon fünf Männer gehabt und lebt jetzt mit einem, der nicht ihr Mann ist. Warum sagt sie: "Ich habe keinen Mann"? Weil sie bei keinem ihr Glück gefunden hat? Weil keiner sie wirklich als Frau ernstgenommen hat? Weil sie von keinem echt geliebt worden ist? Ich höre in ihrer Antwort an Jesus eine tiefe Einsamkeit. Sie hat viele Männer gehabt, aber keinen Mann. Viele Beziehungen, aber keine Liebe. Jesus sagt ihr, wie es um sie steht. Aber ohne sie zu verurteilen. Sie muss sich von ihm angenommen gefühlt haben, anders als von ihren vielen Männern. Und so läuft sie in den Ort und ruft die Leute zusammen: "Da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe." Die Leute im Ort haben das auch getan, aber voll Verachtung, als Tratsch und Gerede. Jesus hat es ihr so gesagt, dass sie sich nicht verachtet fühlte. Und das hat sie frei gemacht. Und so führt sie den ganzen Ort zu Jesus. Sie hat den Mann gefunden, der sie nicht gebraucht, nicht missbraucht, nicht verurteilt, obwohl er weiß, wie missglückt ihr Leben war. Sie hat Jesus gefunden. Er hat ihre Sehnsucht nach Liebe verstanden. Er hat ihr das Wasser des Lebens geschenkt.
In jener Zeit kam Jesus zu einem Ort in Samarien, der Sychar hieß und nahe bei dem Grundstück lag, das Jakob seinem Sohn Josef vermacht hatte. Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Jesus war müde von der Reise und setzte sich daher an den Brunnen; es war um die sechste Stunde.
Da kam eine samaritische Frau, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagte zu ihr: Gib mir zu trinken! Seine Jünger waren nämlich in den Ort gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen.
Die samaritische Frau sagte zu ihm: Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern.
Jesus antwortete ihr: Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.
Sie sagte zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden?
Jesus antwortete ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.
Da sagte die Frau zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierher kommen muss, um Wasser zu schöpfen.
Er sagte zu ihr: Geh, ruf deinen Mann und komm wieder her! Die Frau antwortete: Ich habe keinen Mann. Jesus sagte zu ihr: Du hast richtig gesagt: Ich habe keinen Mann. Denn fünf Männer hast du gehabt und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Damit hast du die Wahrheit gesagt.
Die Frau sagte zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Da ließ die Frau ihren Wasserkrug stehen, eilte in den Ort und sagte zu den Leuten: Kommt her, seht, da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Messias?
Da liefen sie hinaus aus dem Ort und gingen zu Jesus. Viele Samariter aus jenem Ort kamen zum Glauben an Jesus auf das Wort der Frau hin, die bezeugt hatte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.