Um dieses "Mehr" im Leben nicht zu verlieren. Um nicht zu vergessen, wozu wir leben, wohin der Weg geht, was uns als Ziel gesteckt ist.
Um dieses "Mehr" im Leben nicht zu verlieren. Um nicht zu vergessen, wozu wir leben, wohin der Weg geht, was uns als Ziel gesteckt ist.
Gedanken von Kardinal Schönborn
zum Evangelium am 1. Adventsonntag
2. Dezember 2007 - Lesejahr A,
(Mt 24,29-44)
In meiner Studienzeit in Paris - es war das berühmt-berüchtigte Jahr 1968 - war oft ein gesprayter Satz auf Wänden, in der U-Bahn, zu lesen: "Bouleau (gesprochen: bulo), Metro, Dodo". Das bedeutete, im Pariser volkstümlichen Französisch: "Arbeit - U-Bahn - Schlafen". Diese drei Worte waren Ausdruck des Protests der revoltierenden Studenten gegen ein Leben, das sie als sinnlos empfanden. Immer dasselbe, tagein, tagaus. Eintönige Arbeit, mühsame Vorortezüge, und immer zu wenig Schlaf. Sollte das wirklich schon alles gewesen sein?
Was gibt es sonst noch? Die Ferien! Das Wochenende! Und neben vielen Sorgen sicher auch kleine und größere Freuden. Aber oft befällt einen doch der Gedanke: Ist das alles? Zumal wenn man älter wird und die Jahre immer schneller dahinsausen, kann einen die Nachdenklichkeit einholen, die schon vor fast 3 000 Jahren ein jüdischer Beter in einem Psalm festgehalten hat: "Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hochkommt, sind es achtzig. Das Beste davon ist nur Mühsal und Beschwer, rasch geht es vorbei, wir fliegen dahin" (Psalm 90).
Ja, rasch geht es vorbei. Und doch leben wir meist unseren Alltag, ohne viel daran zu denken. Es geht uns ähnlich "wie in den Tagen des Noach". Die Menschen damals lebten sozusagen "vor sich hin", "sie aßen und tranken und heirateten, … bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte". Was sagt uns Jesus damit? Vor allem dies: Es ist zu wenig, nur das Normale zu tun. Wir alle müssen essen und trinken, arbeiten und schlafen. Und in unserer Gesellschaft sollte mehr geheiratet werden, und vor allem sollte es mehr Kinder geben. Das alles gehört zum Leben und zum Überleben. Aber Leben heißt mehr als nur Überleben.
Dazu ist der Advent gedacht. Um dieses "Mehr" im Leben nicht zu verlieren. Um nicht zu vergessen, wozu wir leben, wohin der Weg geht, was uns als Ziel gesteckt ist. Es hilft jetzt nichts viel, zu klagen, dass der Advent zur stressigsten Zeit des Jahres geworden ist. Wir können uns dem Adventwirbel schwer entziehen. Wir müssen aber auch nicht alles mitmachen. Wir brauchen nicht, wie jemand ironisch gesagt hat, "besinnungslos von einer Adventbesinnung zur anderen hetzen".
"Seid also wachsam!" Das ist der Sinn des Advents: wach werden, wach bleiben! Wie macht man das? Es ist im Grunde ganz einfach. Aber die einfachen Dinge tun wir oft einfach nicht. Wir brauchen Zeit zum Nachdenken. Pause. Innehalten. Still werden. Noch stiller. Und vor allem: Beten! Nichts hilft mehr, wach zu werden, als das Gebet. Es bringt so viel in Ordnung, innerlich. Die Gedanken klären sich, die Gefühle setzen sich wie ein aufgewirbeltes schlammiges Wasser, das sich allmählich beruhigt und wieder klar wird.
Dann kann etwas geschehen, was unser Leben tief verändert. Dann wird es Advent, das heißt Ankunft. Dann kann Gott kommen, nicht wie ein Dieb, der überrascht, sondern wie ein Freund, der erwartet wird. Dann bricht auch ein unerwartetes Unglück, eine plötzliche Krankheit, nicht wie eine totale Katastrophe über uns herein. Denn wir waren darauf gefasst, dass auch Leid und Prüfungen kommen können. Und letztlich auch der Tod. Wir werden nicht in Panik geraten, weil wir täglich an den denken, in dessen Hand unser Leben gut geborgen ist. Er schenke uns einen gesegneten Advent!
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Sofort nach den Tagen der großen Not wird sich die Sonne verfinstern, und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.
Danach wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen; dann werden alle Völker der Erde jammern und klagen, und sie werden den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen. Er wird seine Engel unter lautem Posaunenschall aussenden, und sie werden die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, von einem Ende des Himmels bis zum andern.
Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr das alles seht, dass das Ende vor der Tür steht.
Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.
Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater.
Denn wie es in den Tagen des Noach war, so wird es bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Wie die Menschen in den Tagen vor der Flut aßen und tranken und heirateten, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging, und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Dann wird von zwei Männern, die auf dem Feld arbeiten, einer mitgenommen und einer zurückgelassen. Und von zwei Frauen, die mit derselben Mühle mahlen, wird eine mitgenommen und eine zurückgelassen.
Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht. Darum haltet auch ihr euch bereit!
Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.