Wie viel Blindheit ist in mir! Wie viel sehe ich nicht, übersehe ich, merke es gar nicht.
Wie viel Blindheit ist in mir! Wie viel sehe ich nicht, übersehe ich, merke es gar nicht.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 4. Fastensonntag,
2. März 2008
(Joh 9,1-41)
Dass ein Blindgeborener sehend wird, ist wirklich ein Wunder. Jesus hat das gewirkt. Erzählt wird dieses Wunder aber nicht nur, damit wir uns wundern, staunen über Jesus und seine göttliche Heilkraft. Es geht vor allem um eine andere "Erleuchtung", die des Herzens und des Verstandes. Es geht um das Augenlicht des Glaubens. Ohne es bin ich blind, auch wenn ich sehe.
Sehe ich, wie sehr ich selber dieser Blindgeborene bin? Wenn ja, dann werde ich langsam ein Sehender. Wie viel Blindheit ist in mir! Wie viel sehe ich nicht, übersehe ich, merke es gar nicht.
Die Psychologen zeigen uns, dass wir viel übersehen müssen, um Übersicht zu haben. Wir würden von Eindrücken total überflutet werden, könnten wir nicht ganz unbewusst ständig auswählen, uns auf bestimmte Dinge konzentrieren und anderes ausblenden. Leider übersehen wir auf diese Weise auch immer wieder Dinge und Menschen, die unsere Aufmerksamkeit erfordern würden. Wir sind blind für die Not anderer, weil wir zu sehr mit uns selber beschäftigt sind.
Aber kennen wir wenigstens uns selber? Wie oft stellen wir fest: Die Fehler anderer sehen wir genau. Für die eigenen sind wir wie blind.
Noch schlimmer ist die Gottesblindheit. Sehen wir Gott in unserem Leben, dass Er da ist und wirkt? Wir irgendwo an der Oberfläche, an Äußerlichkeiten. Und Er in unserer Mitte, in unseren Herzen. Aber wir sind blind - und glauben doch zu sehen. Wenn wir nur zugeben wollten, wie wenig wir bisher gesehen haben, wie blind wir doch sind für Gottes Geheimnis, das uns umgibt und unser Leben trägt.
Jesus aber hat den Blindgeborenen geheilt. Dieses Evangelium wird in der Fastenzeit gelesen, weil Jesus auch uns das Augenlicht schenken will. Voraussetzung: dass wir Sehende werden wollen. Dass wir uns danach sehnen, nicht so blind durchs Leben zu tappen.
Jesus will auch uns sehend machen. Die Taufe wird auch "Erleuchtung" genannt. Der Ritus der Taufe wiederholt, was Jesus dem Blinden tat, in zeichenhafter Form: Der Täufling wird mit Heiligem Öl gesalbt und mit Wasser getauft. Christus ist das Licht seines Lebens geworden.
Aber sind Christen, Getaufte, deswegen schon sehender als Ungetaufte: Gibt es nicht viel Blindheit unter uns, die wir Christi Namen tragen? Ja, leider, ich muss es zugeben. Aber eines weiß ich mit Sicherheit: Der Glaube ist ein helles Licht auf meinem Weg. Ohne ihn würde ich sehr im Dunkeln tasten. Der Glaube öffnet die Augen. Weil er das Herz öffnet, für Gott und die anderen. Und gut sehen kann man nur mit dem Herzen.
In jener Zeit sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde; dann machte er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn dem Blinden auf die Augen und sagte zu ihm: Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach! Schiloach heißt übersetzt: Der Gesandte.
Der Mann ging fort und wusch sich. Und als er zurückkam, konnte er sehen.
Die Nachbarn und andere, die ihn früher als Bettler gesehen hatten, sagten: Ist das nicht der Mann, der dasaß und bettelte? Einige sagten: Er ist es. Andere meinten: Nein, er sieht ihm nur ähnlich. Er selbst aber sagte: Ich bin es.
Da brachten sie den Mann, der blind gewesen war, zu den Pharisäern. Es war aber Sabbat an dem Tag, als Jesus den Teig gemacht und ihm die Augen geöffnet hatte. Auch die Pharisäer fragten ihn, wie er sehend geworden sei.
Der Mann antwortete ihnen: Er legte mir einen Teig auf die Augen; dann wusch ich mich, und jetzt kann ich sehen.
Einige der Pharisäer meinten: Dieser Mensch kann nicht von Gott sein, weil er den Sabbat nicht hält. Andere aber sagten: Wie kann ein Sünder solche Zeichen tun? So entstand eine Spaltung unter ihnen.
Da fragten sie den Blinden noch einmal: Was sagst du selbst über ihn? Er hat doch deine Augen geöffnet.
Der Mann antwortete: Er ist ein Prophet.
Sie entgegneten ihm: Du bist ganz und gar in Sünden geboren, und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus.
Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn? Der Mann antwortete: Wer ist das, Herr? Sag es mir, damit ich an ihn glaube. Jesus sagte zu ihm: Du siehst ihn vor dir; er, der mit dir redet, ist es. Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder.
Da sprach Jesus: Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die Blinden sehend und die Sehenden blind werden.
Einige Pharisäer, die bei ihm waren, hörten dies. Und sie fragten ihn: Sind etwa auch wir blind?
Jesus antwortete ihnen: Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde.