Jesus hat das Böse nie gut genannt, die Sünde stets Sünde geheißen. Aber er hatte Mitleid mit den Sündern, wie ein Arzt Sorge hat um die Kranken.
Jesus hat das Böse nie gut genannt, die Sünde stets Sünde geheißen. Aber er hatte Mitleid mit den Sündern, wie ein Arzt Sorge hat um die Kranken.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium für den
10. Sonntag im Jahreskreis,
8. Juni 2008,
(Mt 9,9-13)
Wir hatten einen wunderbaren Pfarrer in dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Er war nicht nur beliebt, er wurde wirklich geliebt. Humorvoll, gütig, tief fromm, kurz ein durch und durch glaubwürdiger Priester. Mir bis heute ein leuchtendes Vorbild.
Aber kritisiert wurde er dennoch. Vor allem von einigen „Superfrommen“. Manche konnten nicht verstehen, dass er auch zu „skandalösen“ Leuten ein gutes Verhältnis hatte. So etwa zum Nachtlokalbesitzer. Ja, es gab ein Nachtlokal. Und das hatte natürlich einen einschlägigen Ruf, nämlich einen schlechten. Ausgerechnet mit dem Inhaber dieses Ärgernis erregenden Ortes hatte unser Pfarrer Kontakt, ging ihn sogar daheim besuchen.
„Ich bin gekommen, die Sünder zu berufen, nicht die Gerechten.“ „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.“ Jesus war das große Vorbild unseres Pfarrers. Dass er eine tiefe Liebe zu Jesus hatte, das konnte man spüren. Dass er deshalb auch und gerade zu den so genannten „Fernstehenden“ ging, das erregte Anstoß, wie schon bei Jesus selbst.
Wir können uns heute kaum vorstellen, was für ein Ärgernis es gewesen sein muss, dass Jesus keine Berührungsängste gegenüber den Zöllnern hatte. Da ist ein Nachtlokalbesitzer noch harmlos. Denn die Zöllner waren Kollaborateure, arbeiteten mit der verhassten Besatzungsmacht zusammen und bereicherten sich auf Kosten der eigenen Landsleute. Die Frommen hatten unter ihnen zu leiden. Sie, die zum Glauben, zur Religion der Väter hielten, brachten oft bittere Opfer, um dem Glauben treu zu bleiben. Sie waren ehrlich über Jesus schockiert.
Untergräbt Jesus nicht selber die moralische Ordnung? Ist es nicht ein Schlag ins Gesicht aller Anständigen, dass Jesus sich mit so offensichtlich unanständigen Menschen umgibt? Wenn er diesen Halsabschneidern, diesen Ausbeutern der Armen wenigstens eine Standpauke, eine ordentliche Moralpredigt gehalten hätte! Stattdessen scheint er die Frommen auch noch zu kritisieren. Ihnen Vorwürfe zu machen. Werden jetzt die Sünder gelobt und die Braven getadelt? Das wäre ja die verkehrte Welt!
Nein, Jesus hat nie getadelt, dass jemand Gutes tut. Wohl aber, dass er deswegen andere verachtet. Jesus hat das Böse nie gut genannt, die Sünde stets Sünde geheißen. Aber er hatte Mitleid mit den Sündern, wie ein Arzt Sorge hat um die Kranken. Er nennt die Guten „Gesunde“ und die Sünder „Kranke“. Jesus beruft den Matthäus, den Zöllner, nicht, um ihm zu sagen: Dein Leben ist ok, es ist eh alles in Ordnung! Nein, Jesus ruft ihn heraus aus seinem sündigen Leben. Das kann er nur, indem er ihm Liebe zeigt. Indem er ihn nicht verurteilt. Matthäus muss erlebt haben, dass Jesus ihn anders ansah als die Frommen, die ihn kritisierten und verachteten.
Deshalb ist Jesus mit all den schrägen Freunden des Matthäus, den „Zöllnern und Sündern“. Er zeigt ihnen Liebe, nicht Verachtung. Haben sie sich deshalb schon alle bekehrt? Alle ihr Leben geändert? Wohl kaum. Aber ein Schimmer der Hoffnung hat in ihr Leben geleuchtet. Sie haben etwas geahnt von Gottes unermesslicher Barmherzigkeit.
In jener Zeit sah Jesus einen Mann namens Matthäus am Zoll sitzen und sagte zu ihm: Folge mir nach! Da stand Matthäus auf und folgte ihm.
Und als Jesus in seinem Haus beim Essen war, kamen viele Zöllner und Sünder und aßen zusammen mit ihm und seinen Jüngern.
Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu seinen Jüngern: Wie kann euer Meister zusammen mit Zöllnern und Sündern essen?
Er hörte es und sagte: Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.
Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.
Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.