Eigene Not ist oft der beste Lehrer, Mitgefühl mit der Not des Nächsten zu erlernen.
Eigene Not ist oft der beste Lehrer, Mitgefühl mit der Not des Nächsten zu erlernen.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 18. Sonntag im Jahreskreis,
3. August 2008 (Mt 14,13-21)
Manchmal hat unsere Nächstenliebe ganz schön egoistische Motive. Sie sieht nach Sorge um den Nächsten aus, denkt aber vor allem an die eigenen Interessen. Das heutige Evangelium gibt dafür ein anschauliches Beispiel. Ausgangspunkt ist der brutale Justizmord an Johannes dem Täufer, den Herodes aus Weinlaune und auf das Drängen seiner (unrechtmäßigen) Frau Herodias hin ohne Prozess, ohne Urteil einfach enthaupten ließ.
Warum zog sich Jesus damals zurück? War er über den Tod seines Verwandten so erschüttert? Wollte er über sein bevorstehendes ähnliches Los in der Stille nachdenken? Auf jeden Fall wollte er alleine sein.
Aber die Leute ließen ihn nicht alleine. Sie eilen, rennen, von überall her, und sind schon vor ihm "in der einsamen Gegend", wohin er sich selber zurückziehen wollte. Jesus hätte verärgert sein können. Hat er nicht auch einmal ein Recht auf Ruhe, einen Anspruch, ohne viele Menschen in der Stille zu sein? Seine Reaktion ist ganz anders. Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen. Er sieht ihre Not und vergisst sein eigenen Bedürfnis nach Stille und Alleinsein.
Anders die Apostel. Ich habe die starke Vermutung, dass sie nach einem langen Tag mit Jesus müde waren und in der Magengrube ein gewisses Hungergefühl verspürten, Doch ihr Meister schien unermüdlich. Noch und noch hat er Zeit für die Menschen, für ihre Nöte und Krankheiten. Merkt er nicht, dass es schon Abend wird? Und wir noch nicht zum Essen gekommen sind?
Da finden sie ein schönes Deckmäntelchen für ihre eigenen Wünsche: Die vielen Menschen müssten doch auch schon hungrig sein! Also schlagen sie Jesus vor, er solle "die Leute wegschicken", damit sie sich was zum Essen besorgen (und wir unsere Ruhe haben!)
Jesus lässt sich nicht täuschen. Es ist ihm klar, dass die Sorge seiner Jünger für die hungrigen Menschen nur die Sorge um den eigenen Hunger verbirgt. Zur Verteidigung der Jünger möchte ich aber daran erinnern, dass wir oft erst durch eigene Not die Not der anderen Menschen entdecken. Erst durch ihren eigenen Hunger, ihre Müdigkeit wird ihnen bewusst, dass andere auch hungrig sein könnten. Eigene Not ist oft der beste Lehrer, Mitgefühl mit der Not des Nächsten zu erlernen.
Aber Jesus will ihnen noch mehr beibringen. Er fordert sie auf, den weit über 5000 Menschen selber zu essen zu geben. Eine völlige Überforderung. Unmöglich! Undenkbar! Sie haben gerade noch fünf Brote und zwei Fische. Drei Dinge sollen sie, und wir mit ihnen, aus der nun folgenden Geschichte lernen:
Zuerst: Jesus schickt keinen weg! Keiner ist ihm zu viel. Keine Mühe ist ihm zu viel, wenn es um die Nächstenliebe geht. Wer nur sein Wohlbefinden sucht, kann nicht Jesu Jünger sein.
Zweitens: Jesus erwartet von uns nicht das Unmögliche. Wir können mehr als 5000 Menschen unmöglich mit fünf Broten sättigen. Aber wir können das, was wir haben, Gott zur Verfügung stellen. Nur muss es ganz sein, alles, was wir sind und haben. Was dann Großes herauskommen kann, zeigt das Leben der Heiligen. Aber auch ich kann täglich Gott mein ganzes Leben anvertrauen, es Ihm zur Verfügung stellen. Ich kann Ihm sagen: Benütze mich und meine kleinen Gaben als Dein Werkzeug!
Drittens: zwölf Körbe bleiben übrig! Ist das nicht Verschwendung? Oder zeigt Jesus damit: Ihr lebt noch heute davon? Jesus selber ist dieses unerschöpfliche Brot. In der Hl. Messe geschieht täglich das Wunder neu: Christus selber ist bei uns und schenkt sich als unerschöpfliches Lebensbrot.
In jener Zeit, als Jesus hörte, dass Johannes enthauptet worden war, fuhr er mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber die Leute in den Städten hörten davon und gingen ihm zu Fuß nach.
Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen und heilte die Kranken, die bei ihnen waren.
Als es Abend wurde, kamen die Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen, und es ist spät geworden. Schick doch die Menschen weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können.
Jesus antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen! Sie sagten sie ihm: Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische bei uns. Darauf antwortete er: Bringt sie her! Dann ordnete er an, die Leute sollen sich ins Gras setzen.
Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten, und alle aßen und wurden satt.
Als die Jünger die übrig gebliebenen Brotstücke einsammelten, wurden zwölf Körbe voll. Es waren etwa fünftausend Männer, die an dem Mahl teilnahmen, dazu noch Frauen und Kinder.