Es geht um die rechte Reihenfolge.
Es geht um die rechte Reihenfolge.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 20. Sonntag im Jahreskreis,
17. August 2008 (Mt 15,21-28)
Jesus schockiert. So unfreundlich, so „fremdenfeindlich“, so unbarmherzig, wie er sich in der Szene des heutigen Evangeliums verhält, das ist schockierend. Was geschah? Und warum verhält sich Jesus derart abweisend?
Er hat sich in die heidnische Mittelmeergegend, in die Umgebung der reichen Handelsstädte Tyrus und Sidon zurückgezogen. Wollte er Abstand von seinen eigenen Landsleuten, die ihn immer mehr ablehnen? Eines zeigt sich auf jeden Fall: Auch im heidnischen Nachbarland seiner galiläischen Heimat ist er kein Unbekannter. Sein Ruf, Kranke zu heilen und Besessene zu befreien, hat sich bis ins Küstengebiet herumgesprochen.
So erfährt auch die „kanaanäische Frau“ des heutigen Evangeliums davon, dass der Wunderrabbi aus Galiläa da ist. Sie kommt, ungestüm und lautstark um Hilfe bittend. Sie schreit, verzweifelt über das Leiden ihrer Tochter. Sie fleht Jesus an: Hab Erbarmen mit mir, Herr, Sohn Davids! Leicht auszumalen, dass die ganze Szene den Jüngern Jesu äußerst peinlich ist. Jesus scheint unberührt. Er sagt kein Wort, tut so, als gäbe es diese Frau in ihrem Elend gar nicht.
Gib ihr, um was sie bittet! So drängen sie Jesus. Befreie sie von ihrer Sorge! Das klingt so barmherzig, so mitfühlend! Jesus – der Unbarmherzige? Die Jünger Jesu – die Barmherzigen? Der Schein trügt. Das Motiv der Jünger ist sehr egoistisch! „Sie schreit hinter uns her!“ Es ist den Jüngern einfach peinlich, unangenehm, lästig! Diese Frau stört. Speise sie ab! Schick sie weg! Gib ihr endlich, worum sie bittet! Aber vor allem: Schau, dass sie uns in Ruhe lässt!
Diese Art von „Barmherzigkeit“ kennen wir alle: Die Mutter, die dem Kind dann doch das Eis kauft, nur damit es Ruhe gibt. Nachgeben, nur um keine Schwierigkeiten zu bekommen. In Zeiten des Wahlkampfes die Versuchung aller: Alles zu versprechen, nur um zu gefallen. Und auch in der Kirche kennen wir die Versuchung: alle Ansprüche des Evangeliums „billiger“ zu machen, „damit die Leute nicht davonlaufen“.
Jesus macht es anders, für uns alle ein hoher Maßstab. Er wagt es, Grenzen zu ziehen: Ich bin nur für die Juden da! Das ist mein Auftrag! Mut zur Grenzziehung tut uns allen gut. Keiner ist für die ganze Welt „zuständig“. Es gibt eine Rangordnung der Aufgaben: zuerst die eigene Familie, dann die Nachbarn. Zuerst das eigene Land, dann die anderen Länder! Also Abschottung? Isolation? Nicht darum geht es, sondern um die rechte Reihenfolge.
Die heidnische Frau lässt nicht locker, fällt Jesus zu Füßen. Jesus scheint ärgerlich zu werden. Seine Reaktion ist schockierend, eigentlich ein Skandal! Man dürfe den Kindern das Brot nicht wegnehmen und es den Hunden geben, sagt er. Die Heiden vergleicht er mit Hunden. Die Juden, sein Volk, sind die Kinder, denen das Brot zusteht.
Ja, Herr, du hast recht! Die Frau ist nicht beleidigt, schimpft Jesus nicht als Fremdenfeind. Sie weiß besser als wir alle, dass die Hilfe Jesu ein unverdientes Geschenk ist: Die Hündlein dürfen doch die Brösel fressen, die vom Tisch der Kinder fallen! Jesus ist tief bewegt über dieses große Vertrauen – und heilt ihre Tochter!
Jesu Weg geht zwischen zwei Fehlhaltungen gerade hindurch: der falschen Barmherzigkeit, die in allem nachgibt, um nur nicht gestört zu werden, und der falschen Abgrenzung, die nicht bereit ist, auf echte Not hin auch über die eigenen notwendigen Grenzen hinauszugehen. Oh, Jesus! Wie viel haben wir von Dir noch zu lernen!
In jener Zeit zog Jesus sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück.
Da kam eine kanaanäische Frau aus jener Gegend zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält.
Jesus aber gab ihr keine Antwort.
Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Befrei sie von ihrer Sorge, denn sie schreit hinter uns her. Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.
Doch die Frau kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir! Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen. Da entgegnete sie: Ja, du hast Recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.