Wir sollen hinschauen, nachdenken, staunen: über die einfachsten Dinge der Natur und des menschlichen Lebens.
Wir sollen hinschauen, nachdenken, staunen: über die einfachsten Dinge der Natur und des menschlichen Lebens.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium 11. Sonntag im Jahreskreis,
14. Juni 2009 (Mk 4,26-34)
Überall wächst die Saat. Bald werden die ersten Felder abgeerntet. Die Landwirtschaft hat sich seit der Zeit Jesu völlig verändert. Alles geht maschinell, vielfach schon computergesteuert, auf riesigen Flächen, mit ganz wenigen Arbeitskräften. Auch bei uns war das vor 50, vor 100 Jahren noch ganz anders. Das meiste war Handarbeit, und überall viele Mitarbeiter. Wie war das erst zur Zeit Jesu, auf den kargen Böden des Heiligen Landes!
Aber eines ist bis heute geblieben, und das wird keine Technik ändern können: Die Saat wächst nach ihrem Rhythmus. Ob der Landwirt schläft oder wacht, „der Samen keimt und wächst, und der Mann weiß nicht wie“. Er kann nur warten. Und auf Regen und das rechte Wetter hoffen. „Automatisch“, so steht es im griechischen Originaltext, „von selber“, aus eigener Kraft, nach ihren inneren Gesetzen, bringt die Saat ihre Frucht: „Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre.“
Was will Jesus mit diesem Gleichnis sagen? Warum redet er „nur in Gleichnissen“ zu seinen Hörern? Was sollen sie vermitteln? Ich denke, Jesus will uns alle zuerst einmal zum Beobachten anregen. Wir sollen hinschauen, nachdenken, staunen: über die einfachsten Dinge der Natur und des menschlichen Lebens. Wie sollen wir die Dinge Gottes verstehen, wenn wir nicht einmal die Dinge des Alltags erfassen?
Alles beginnt mit der Fähigkeit zu staunen. Was für ein Wunder ist das Wachsen des Getreides auf unseren Feldern! Je mehr wir dank der Wissenschaft über die Natur erkennen, desto mehr Grund hätten wir, zu staunen. Was für ein Wunderwerk der Statik, der Flexibilität, der Materialverarbeitung ist ein einziger Getreidehalm. Keine Technik vermag das perfekt nachzubauen.
Schau hin, wie alles wächst! Was hast du dazu getan? Ob du wach bist oder schläfst, es wächst alles in der Natur „von selbst“, aus Eigenem, aus dem inneren „Wissen“ heraus, das in allen Lebewesen, Pflanzen, Tieren, Menschen gespeichert ist.
Worauf will Jesus hinaus? Ich denke, dass er uns vor allem zur Geduld ermutigt. Alles braucht seine Zeit zum Wachsen. Du kannst einen Baum nicht mit Gewalt großziehen. Er wird nicht schneller wachsen als er kann. Zur Geduld gehört das Vertrauen. Es wird schon! Gott lässt sein Werk wachsen. Er ist der Herr von Wachstum und Ernte. Versuche nicht, zu erzwingen, was geduldig reifen muss. Du hast ausgesät. Jetzt vertraue, dass die Saat auch aufgeht. Lass sie in Ruhe wachsen.
Und schließlich will Jesus wohl auch sagen: Die Zeit der Ernte kommt bestimmt. Auf sie musst du dich einstellen. Auf sie darfst du hoffen. Jesus will hier wohl ein Wort des Trostes in einer Zeit der Not sagen: Ihr könnt das Reich Gottes nicht herbeizwingen, mit Gewalt, mit Terror (wie es schon damals manche versuchten). Es kommt so sicher wie die Ernte. Habt Geduld, der Tag Gottes kommt. Er wird dem Leid, den Tränen, dem Unrecht ein Ende bereiten, am Tag seiner Ernte.
Das ist nicht immer leicht zu glauben. Oft scheinen Not, Unrecht, Leid, Sorgen viel größer als Gottes Nähe, Gottes Reich. Dieses sieht oft so winzig und ohnmächtig aus wie ein kleines Samenkorn. Doch habt Vertrauen: es wächst, es wird groß, es wird für viele zum Ort der Geborgenheit. Wenn du zweifelst an Gottes Gegenwart in dieser Welt: Schau auf das Samenkorn. Und dann auf den Baum, der daraus gewachsen ist!
Er sagte: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst, und der Mann weiß nicht, wie.
Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.
Er sagte: Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen, mit welchem Gleichnis sollen wir es beschreiben? Es gleicht einem Senfkorn. Dieses ist das kleinste von allen Samenkörnern, die man in die Erde sät. Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, so dass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können.
Durch viele solche Gleichnisse verkündete er ihnen das Wort, so wie sie es aufnehmen konnten. Er redete nur in Gleichnissen zu ihnen; seinen Jüngern aber erklärte er alles, wenn er mit ihnen allein war.