Geh! Dein Glaube hat dir geholfen. Im gleichen Augenblick konnte er wieder sehen
Geh! Dein Glaube hat dir geholfen. Im gleichen Augenblick konnte er wieder sehen
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium 30. Sonntag im Jahreskreis,
25. Oktober 2009 (Mk 10,46-52)
Wer von uns, die wir sehen können, kann sich vorstellen, was es heißt, blind zu sein? Vor einigen Jahren habe ich eine Zeit lang ein blindes Paar mit ihrem Blindenhund bei mir beherbergt. Als ich am Abend in die Wohnung kam, hörte ich Geräusche in der Küche, aber sie war finster. Da fand ich meine blinden Gäste beim Kochen. Natürlich hatten sie kein Licht angeschaltet. Wozu auch? Es hätte nichts an ihrer Blindheit geändert.
Dieses Erlebnis ist mir unvergesslich. Sie war blind geboren, er erst im Lauf der Jahre erblindet. Nie sehen. Nie mehr sehen. Ich kann es mir nicht vorstellen, aber es erinnert mich daran, welch ein Wunderwerk die menschlichen Augen sind, was für ein Geschenk es ist, sehen zu können. Die Erinnerung an die gemeinsame Zeit mit diesem Paar hilft mir, für das „Augenlicht“, wie die Alten so schön sagten, immer neu zu danken.
So kann ich mich auch ein wenig in die Szene des heutigen Evangeliums hineindenken. Freilich können wir uns nur schwer vorstellen, welche Not es damals bedeutete, blind zu sein. Wer in gewissen Ländern Asiens oder Afrikas die blinden Bettler erlebt hat, kommt der Geschichte des blinden Bartimäus schon näher. Ohne jegliche soziale Sicherheit lebend waren und sind die Blinden meist zum Betteln verurteilt. Keine medizinische Versorgung, keine Möglichkeit, durch operativen Eingriff die Blindheit zu heilen. Zur Zeit Jesu war der Blinde ein hoffnungsloser Notfall. Heute kann den Blinden in den armen Ländern oft das Augenlicht wiedergeschenkt werden. Die „Christoffel-Mission“ etwa leistet hier Großartiges.
Umso größer ist die Hoffnung des blinden Bartimäus in Jericho. Er hört, Jesus aus Nazareth sei gerade auf dem Weg durch Jericho, hinauf nach Jerusalem. Er hat von seinen Heilungen gehört und sieht eine einmalige Chance. Vielleicht hilft er auch mir, sagt sich Bartimäus und beginnt aus Leibeskräften zu schreien: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir! Er lässt sich nicht abhalten, noch lauter zu schreien, bis Jesus auf ihn aufmerksam wird und ihn kommen lässt.
Was soll ich dir tun? Die Frage Jesu ist verständlich. Wie kann ich dir helfen? Normalerweise bittet der Blinde um Geld, um ein Almosen, damit er wieder einen Tag lang etwas zu essen hat. Doch Bartimäus bittet nicht um Geld, wie sonst üblich: Rabbuni, ich möchte wieder sehen können!
Diese Bitte geht einem zu Herzen. Ein ganz großes Vertrauen kommt darin zum Ausdruck. Rabbuni nennt er Jesus. Das ist eine sehr persönliche, fast vertrauliche Anrede: Lieber, verehrter Meister, so könnten wir sie wiedergeben. Bartimäus bittet nicht um Geld, sondern setzt alles auf die höchste Karte: seine tiefe Sehnsucht, wieder sehen zu können. Er glaubt, dass Jesus das machen kann, und darin ist Bartimäus für alle Zeiten ein Vorbild.
Auch wenn wir nicht blind sind, so haben wir doch unsere blinden Flecken. Mehr noch: wir haben unsere Blindheiten, wo es so dunkel ist wie die Küche bei meinen blinden Freunden. Oft leiden andere darunter, dass wir für unsere eigenen Fehler so blind sind. Manchmal leiden wir auch selber darunter. Dann kann es sein, dass wir in unserer Not zu Jesus zu rufen beginnen: Lieber Meister, ich will wieder sehen können! Ich will aus meiner Finsternis heraus! Und du kannst mein Augenlicht sein! Wer Jesus so glaubt und vertraut, wird seine Hilfe erfahren.
Sie kamen nach Jericho. Als er mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge Jericho wieder verließ, saß an der Straße ein blinder Bettler, Bartimäus, der Sohn des Timäus.
Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazaret war, rief er laut: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir! Viele wurden ärgerlich und befahlen ihm zu schweigen.
Er aber schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihn her! Sie riefen den Blinden und sagten zu ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich. Da warf er seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu.
Und Jesus fragte ihn: Was soll ich dir tun? Der Blinde antwortete: Rabbuni, ich möchte wieder sehen können.
Da sagte Jesus zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dir geholfen. Im gleichen Augenblick konnte er wieder sehen, und er folgte Jesus auf seinem Weg.