Vor Gott zählt nur, wer du wirklich bist.
Vor Gott zählt nur, wer du wirklich bist.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium 32. Sonntag im Jahreskreis,
8. November 2009 (Mk 12,38-44)
Zwei Szenen schildert das Evangelium heute. Ganz unterschiedlich. Fast widersprüchlich. Beide spielen in Jerusalem, im weiten Gelände des prachtvollen Tempels, der damals noch bestand. 40 Jahre später, im Jahre 70, haben die römischen Truppen unter Titus ihn fast völlig zerstört. Nur noch die „Klagemauer“ erinnert an die einstieg Pracht.
Jesus warnt zuerst die Menschenmenge vor den „Schriftgelehrten“, das heißt denen, die sich besser vorkommen, weil sie „g’studiert“ sind. Die kritischen Worte Jesu diesen Leuten gegenüber treffen mich immer auch persönlich. Als Bischof, als Kardinal bekomme ich oft den „Ehrenplatz“. Auch trage ich oft „lange Gewänder“, und natürlich macht es mir auch Freude, wenn ich „auf den Straßen und Plätzen gegrüßt werde“.
Nun, ganz kann ich das nicht vermeiden. Es wäre mir nur manchmal lieber, ich könnte einfach unerkannt unter den Menschen sein. Aber Jesus kritisiert ja nicht die Bekanntheit. Sein scharfes Urteil richtet sich gegen die Scheinheiligkeit. Die kann er ganz und gar nicht ertragen.
Alles was Schein ist, „tun als ob“, Heuchelei, Frömmelei, sich aufplustern und wichtigtun, sich vordrängen und nach Anerkennung gieren: all das ist Jesus ganz zuwider. Er will, dass wir wie er einfach, gerade, unverstellt und demütig sind, das heißt: Mut zum Dienen haben. Das ist in seinen Augen die wahre Größe. Sie allein ist wichtig.
Und damit seine Jünger das völlig verstehen, folgt jetzt die zweite Szene. Jesus hat sich alleine hingesetzt, gegenüber dem großen Opferkasten, in den die Tempelbesucher ihre Spenden hineinwerfen. Er schaut den Leuten zu. Die Gaben fließen reichlich. Reiche geben kräftig. „Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen“ in den Tempelschatz. Nicht der Rede wert. Zwei Kupfermünzen. Was ist das im Vergleich zu den Goldstücken, die die Reichen spenden?
Und doch ist Jesus ganz anderer Ansicht. Diese arme Frau hat mehr als alle anderen gegeben. Sie hat wirklich ihre ganze Lebenssubstanz gegeben, das armselige Wenige, was sie zum Leben hatte. Die Reichen gaben nur von ihrem Überfluss. Es tat ihnen nicht weh. Diese Witwe gab alles, was sie hatte.
Im griechischen Originaltext des Evangeliums ist das noch deutlicher gesagt: „Sie gab ihr ganzes Leben“. Genau das wird bald danach Jesus selber machen: Sein ganzes Leben geben. Hingabe für die anderen bis zum Letzten, bis zum Tod.
Jesus hat also diese arme Witwe beobachtet: „da rief er seine Jünger zu sich“ und zeigte ihnen, was für eine große Tat diese Frau getan hat. Er zeigt ihnen: Schaut her! Das ist wirklich Größe! Niemand hat diese arme Frau beobachtet. Sie hat ja nur zwei kleine Münzen gespendet. Aber sie ist größer als alle die Großen, die nur geben, was ihnen nicht weh tut. Nicht auf die äußeren Wichtigkeiten kommt es an, die Titel, die Macht, die Medien, das Berühmtsein. Vor Gott zählt nur, wer du wirklich bist. Da steht die arme Witwe ganz oben. Schaut auf solche Menschen!
Er lehrte sie und sagte: Nehmt euch in Acht vor den Schriftgelehrten! Sie gehen gern in langen Gewändern umher, lieben es, wenn man sie auf den Straßen und Plätzen grüßt, und sie wollen in der Synagoge die vordersten Sitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben. Sie bringen die Witwen um ihre Häuser und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete. Aber umso härter wird das Urteil sein, das sie erwartet.
Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein. Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hergegeben; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles gegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.