Versuchung gibt es nur, wo es Freiheit gibt, ihr nachzugeben oder ihr zu widerstehen.
Versuchung gibt es nur, wo es Freiheit gibt, ihr nachzugeben oder ihr zu widerstehen.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 1. Fastensonntag,
21.Februar 2010 (Lk 4,1-13)
Niemand lebt ohne Versuchungen, und diese sind so vielfältig, dass kein Tag ohne sie vergeht. Wir können alle eine Liste der Versuchungen aufstellen, die uns am meisten zu schaffen machen. Schwerer ist es, auch verstecktere Versuchungen wahrzunehmen, sie als Versuchung zu entlarven.
Offensichtliche Versuchungen brauche ich nicht eigens zu nennen: Über den Durst zu trinken, wenn es gemütlich ist oder wenn die Einsamkeit drückt. Zu schnell zu fahren ist für viele eine echte Versuchung, die tödliche Folgen haben kann. Offenkundig sind die Versuchungen im Bereich der Sexualität. Sie sind heute allgegenwärtig, in der Werbung, im Fernsehen, im Internet, auf so manchen Zeitungsseiten. Manche meinen, wenn von Versuchung die Rede ist, vor allem die sexuelle.
Aber es gibt viele andere, und sie haben oft ein großes Gewicht, gefährden uns – und die anderen. Ich denke oft an die tiefsitzende Versuchung, sich für erlittenes Unrecht zu rächen. Oder die Versuchung, die Wahrheit zu verdrehen, um selber besser dazustehen. Manchmal bedroht uns die Versuchung, mutlos zu werden, aufzugeben. Oder die umgekehrte Versuchung, ungeduldig zu werden, dreinzuschlagen, Dinge erzwingen zu wollen.
Was wundert, dass niemand den Versuchungen entkommt. Warum lässt Gott das zu? Warum sind wir aus so gefährdetem Stoff? Das ist der Preis der Freiheit. Versuchung gibt es nur, wo es Freiheit gibt, ihr nachzugeben oder ihr zu widerstehen. Tiere kennen in diesem Sinne keine Versuchung. Freundschaft bewährt sich in der Treue, und Treue heißt, so manchen Versuchungen nicht nachzugeben.
Jesus ist treu geblieben. Das ist der Sinn seiner Versuchung in der Wüste, vierzig Tage lang. Jesus war in allem uns gleich, auch in den Versuchungen. Nur hat er, im Unterschied zu uns, die Versuchung durchgestanden. Welche waren es?
Ich finde es auffallend, dass in keinem Evangelium davon die Rede ist, Jesus habe mit sexuellen Versuchungen zu kämpfen gehabt. Hatte er keine? Als Mensch und als Mann? Der Teufel hat ihn auf jeden Fall nicht von dieser Seite angegriffen. Hat er gespürt, dass Jesus hier keine Schwachstelle hatte? Ich glaube es. Denn ich glaube, Jesus war so voller Liebe, dass er auch als Mensch ganz erfüllt war, auch ohne „Sex“, ohne den viele heute sich nicht ein erfülltes Leben vorstellen können.
Und doch war Jesus ganz Mensch. Nach dem langen strengen Fasten hungert es ihn. Aber er weiß, dass „der Mensch nicht nur von Brot lebt“. Die radikalen Versuchungen liegen tiefer: Die irdische Macht zu vergrößern, von ihr alles Heil zu erwarten. Es ist die Versuchung über andere Macht zu gewinnen, statt ihnen zu dienen, wie es Jesu Auftrag ist.
Die tiefste Versuchung ist die dritte: „Wenn du Gottes Sohn bist…“ Mach dich selbständig von Gott! Wozu brauchst du ihn? Nimm alles selber in die Hand! Sei dein eigener Gott, und nicht ein Kind Gottes! Ist nicht die Fastenzeit dazu geeignet, genauer hinzuschauen, wo meine Versuchungen liegen – und wie Jesus sie mir besiegen hilft?
In jener Zeit verließ Jesus, erfüllt vom Heiligen Geist, die Jordangegend. Darauf führte ihn der Geist vierzig Tage lang in der Wüste umher,und dabei wurde Jesus vom Teufel in Versuchung geführt.
Die ganze Zeit über aß er nichts; als aber die vierzig Tage vorüber waren, hatte er Hunger. Da sagte der Teufel zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden. Jesus antwortete ihm: In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht nur von Brot.
Da führte ihn der Teufel auf einen Berg hinauf und zeigte ihm in einem einzigen Augenblick alle Reiche der Erde. Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen, und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören. Jesus antwortete ihm: In der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.
Darauf führte ihn der Teufel nach Jerusalem, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich von hier hinab; denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er, dich zu behüten; und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. Da antwortete ihm Jesus: Die Schrift sagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.
Nach diesen Versuchungen ließ der Teufel für eine gewisse Zeit von ihm ab.