"Auch jetzt wirkt kaum etwas bei den Ungläubigen so anstößig, als wenn es bei uns an Liebe fehlt".
"Auch jetzt wirkt kaum etwas bei den Ungläubigen so anstößig, als wenn es bei uns an Liebe fehlt".
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 5. Sonntag der Osterzeit,
2. Mai 2010 (Joh 13,31-33a.34-35)
„Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebt“. Nichts ist glaubwürdiger als echte, gelebte Nächstenliebe. Keine noch so gescheiten Argumente können davon überzeugen, dass Christus und das Christentum stimmen. Nur die Liebe kann überzeugen. Nur sie wird einem abgenommen. Predigten können beeindrucken, nur die Liebe bewegt wirklich.
Die Erfahrung zeigt das ganz eindeutig. Warum hat Mutter Teresa von Kalkutta weltweit Menschen beeindruckt? Nur aus einem Grund: man hat ihr geglaubt, dass sie wirklich die Liebe gelebt hat. Hindus und Muslime, Christen und Atheisten waren von ihr beeindruckt weil ihr Leben sie überzeugt hat.
In der ganzen schmerzlichen Debatte um Missbrauch in Kirchlichen Einrichtungen und durch Vertreter der Kirche hat mir das am meisten zu denken gegeben: Wenn die Liebe das Zeichen der Jünger Jesu sein soll, dann wiegt der Missbrauch der Liebe umso schwerer. Schon vor Jahren schrieb mein Mitbruder aus dem Dominikanerorden, Pater Braun: „ So sehr rechnet man damit, in der Kirche die Ausstrahlung der Liebe Jesu zu finden, dass man ihr nie verzeiht, wenn sie es in diesem Punkt fehlen lässt“. Und schon in frühchristlicher Zeit bemerkte der Heilige Johannes Chrysostomos: “Auch jetzt wirkt kaum etwas bei den Ungläubigen so anstößig, als wenn es bei uns an Liebe fehlt“.
„Liebt einander!“ Jesus nennt das „ein neues Gebot“. Es ist das Grundgebot des Evangeliums: Gott aus ganzem Herzen lieben, und den Nächsten wie sich selbst. Ich glaube, wir sehen das alle irgendwie ein, schon aus einem ganz praktischen Grund: ich liebe es, geliebt zu werden! Niemand wünscht sich, abgelehnt oder gar gehasst zu werden. Jedem tut es gut, sich in der Liebe anderer geborgen zu wissen.
Jesus hat aber gesagt, dass wir selber die Liebe schenken sollen. Und da wird es schon viel schwieriger. Was heißt es, einander zu lieben, wenn mir keine Gegenliebe begegnet? Und dann: Was heißt einander lieben wenn ich vom anderen ausgenützt, betrogen, gekränkt, verletzt werde? Alles schön und recht wenn die Liebe gegenseitig ist, wenn Geben und Empfangen in gutem Gleichgewicht sind.
„Liebe bis es weh tut“ hat Mutter Teresa oft gesagt. Wie geht das? Jesus gibt eine einfache Antwort: „Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“. Wie hat er uns geliebt? Wie liebt mich Gott? Wie sieht mich Jesus? Seine Liebe geht immer in Vorlage. Er sagt nicht: Wenn du mich liebst, dann liebe ich dich zurück! Er fängt an. Er liebt uns auf Vorschuss, ohne Kalkül, ob es sich auszahlt, ohne zu fragen, ob sich das lohnt.
Wenn wir nur dann liebevoll sind, wenn es uns etwas bringt, dann lieben wir die anderen nicht wirklich. Dann geht es uns um uns selber. Dann nützen wir die anderen aus. Liebe ist selbstlos. Und nur so kann sie gelingen. Nur so bringt sie Freude. Und letztlich auch großen Gewinn. Und dann überzeugt sie, mehr als alle Worte. Denn glaubhaft ist nur Liebe.
Als Judas hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist in ihm verherrlicht.
Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen, und er wird ihn bald verherrlichen.
Meine Kinder, ich bin nur noch kurze Zeit bei euch. Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.
Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.