Letztlich zählt immer nur die Liebe.
Letztlich zählt immer nur die Liebe.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium 11. Sonntag im Jahreskreis, 13. Juni 2010 (Lk 7,36-50)
Manche können die Welt ganz genau aufteilen. Hier die Guten, dort die Bösen. Hier die Sünder, dort die Gerechten. Aber stimmt das? Mein Heimatpfarrer pflegte zu sagen: „Niemand ist so gut wie ihn die einen und so schlecht wie ihn die anderen machen“. Also stimmen die Urteile über gut und böse nicht? Ist alles relativ, alles egal, nichts wirklich gültig?
Lassen wir uns von Jesus zeigen, wie er das sieht: gut und böse, sündig und gerecht. Der Evangelist Lukas nimmt uns mit zu einem Festmahl, bei dem Jesus Ehrengast ist. Ein orientalischen Mahl: man sitzt nicht zu Tisch, sondern liegt auf Pölstern um den Tisch. Der Gastgeber ist ein frommer Mann, ein Pharisäer, das heißt einer, der es mit seinem Glauben ernst meint und der streng nach Gottes Geboten zu leben versucht.
In das offene Haus des frommen Simon drängt sich auch eine Frau, die in der Stadt als Sünderin verschrien ist. Was sie nun tut, schockiert die Tafelrunde. Sie weint viele Träne über Jesu Füße, trocknet sie mit ihren Haaren, küsst sie, salbt sie mit sehr teurem Öl. Mit einem Wort: Sie benimmt sich völlig daneben. Noch mehr aber schockiert Jesu Verhalten die fromme Tischgesellschaft: Warum lässt er sich das gefallen? Und noch dazu von einer Sünderin! Weiß er denn nicht, wer diese Frau ist?
Jesus erkennt ihre Gedanken und antwortet - wie so oft-mit einem Gleichnis: Wenn zwei Schuldnern die Schuld erlassen wird, einem eine kleine, dem andern eine große - wer wird sich mehr freuen? Wer wird dankbarer sein?
Worauf kommt es an? Jesus bezweifelt nicht, dass sein Gastgeber fromm ist. Aber er hat ein karges Herz. Jesus bezweifelt nicht, dass diese Frau wirklich eine Sünderin ist. Aber sie hat ein liebendes Herz. Sie spürt bei Jesus, dass er sie nicht verurteilt. Sie fühlt sich völlig angenommen. Sie weiß, wie viel in ihrem Leben schief gelaufen ist und wie sehr sie selber eine Sünderin ist. Aber sie hat viel geliebt.
Jesus hat einmal den Selbstgerechten, die auf die anderen herunterschauen, ein erstaunliches Wort gesagt: „Zöllner und Dirnen kommen vor euch in das Reich Gottes“. Prostituierte - vor den Frommen im Himmel? Jesus schockiert. Er stößt die Guten vor den Kopf. Was wunder, dass sie ihm vorwerfen, er sei ein Freund der Zöllner und Dirnen.
Gilt gut und böse nicht mehr? Doch, es gilt. Aber es existiert nicht so fein säuberlich geschieden. Diese Sünderin hat viel Liebe gezeigt. Sie ist trotz aller Sünden ihres Lebens nicht verhärtet, sie ist nicht hochmütig. Sie weiß um ihre Not und kann Jesus ihre ganze Liebe zeigen, weil sie sich von ihm geachtet, geschätzt, geliebt weiß. Trotz aller Sünden hat sie ein weites, liebendes Herz bewahrt.
Der Pharisäer dünkt sich besser. Sicher hat er weniger Sünden. Aber eine hat er, die schlimmer ist als alle: sich über die anderen erheben! Fromm, aber lieblos! Das darf es nicht sein. Das wollte Jesus nicht. Letztlich zählt immer nur die Liebe. Das zeigt uns Jesus mit dieser Sünderin.
In jener Zeitging Jesus in das Haus eines Pharisäers, der ihn zum Essen eingeladen hatte, und legte sich zu Tisch.
Als nun eine Sünderin, die in der Stadt lebte, erfuhr, dass er im Haus des Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Ölund trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie, und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl.
Als der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, dachte er: Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müsste er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lässt; er wüsste, dass sie eine Sünderin ist.
Da wandte sich Jesus an ihn und sagte: Simon, ich möchte dir etwas sagen. Er erwiderte: Sprich, Meister!
Jesus sagte: Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig.Als sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, erließ er sie beiden. Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben?
Simon antwortete: Ich nehme an, der, dem er mehr erlassen hat. Jesus sagte zu ihm: Du hast Recht.
Dann wandte er sich der Frau zu und sagte zu Simon: Siehst du diese Frau? Als ich in dein Haus kam, hast du mir kein Wasser zum Waschen der Füße gegeben; sie aber hat ihre Tränen über meinen Füßen vergossen und sie mit ihrem Haar abgetrocknet.
Du hast mir zur Begrüßung keinen Kuss gegeben; sie aber hat mir, seit ich hier bin, unaufhörlich die Füße geküsst.Du hast mir nicht das Haar mit Öl gesalbt; sie aber hat mir mit ihrem wohlriechenden Öl die Füße gesalbt.
Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie mir so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe.
Dann sagte er zu ihr: Deine Sünden sind dir vergeben.
Da dachten die anderen Gäste: Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt?
Er aber sagte zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!