Jesus will uns frei machen: frei von zu engen Anhänglichkeiten, frei auch von Vorurteilen. Frei von allem, um im Feind den Menschen zu sehen und so die Spirale von Haß, Ablehnung, Gewalt zu durchbrechen.
Jesus will uns frei machen: frei von zu engen Anhänglichkeiten, frei auch von Vorurteilen. Frei von allem, um im Feind den Menschen zu sehen und so die Spirale von Haß, Ablehnung, Gewalt zu durchbrechen.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium 23. Sonntag im Jahreskreis,
5. September 2010 (Lk 14,25-33)
Ist das nicht eine verkehrte Welt? Jesus sagt, wir sollen unsere Feinde lieben – und unsere eigene Familie „hassen.“ Ja, so steht es ganz wörtlich im Evangelium! In der „Bergpredigt“ sagt Jesus: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“ Und heute im Evangelium heißt es: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein eigenes Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.“
Die eigene Familie „gering achten“ ist schon schlimm genug. Wörtlich aber steht da „hassen.“ Die Übersetzer waren wohl selber vor den Worten Jesu erschrocken und haben daher die Sache stark abgeschwächt. Die Worte Jesu bleiben deswegen immer noch hart genug.
Die Feinde sollen wir lieben, die eigenen Leute, unsere Familie, „unsere Lieben,“ wie wir sie gerne nennen, sollen wir dagegen hassen? Ist da nicht etwas verkehrt gelaufen? Oder will Jesus damit provozieren? Will er etwas zeigen, was auf den ersten Blick schrecklich, bei näherem Zusehen aber sich als positiv erweist? Könnte es nicht sein, daß Jesus uns hier einen großen Weg der Freiheit zeigt?
Jesus hat immer wieder an die Zehn Gebote erinnert, auch an das vierte: „Du sollst Vater und Mutter ehren..:“ Er hat das selber sehr ernst genommen. Ja, du sollst sie ehren und achten, und wenn sie alt und hilfsbedürftig sind, dich ihrer annehmen. Und dasselbe gilt im Hinblick auf die Kinder: für sie Sorge tragen, auf Manches verzichten um der Kinder willen, für sie bereit sein, Opfer zu bringen: all das hat Jesu volle Zustimmung.
Aber Jesus weist auch auf eine Gefahr hin, und die ist nicht gering: Familie kann auch zum Kerker werden. Es gibt einen schlimmen Familienegoismus, einen unguten Familienstolz, der unfrei macht. Das zeigt sich manchmal ganz dramatisch, wenn die Familie sich gegen einen Ruf Gottes stellt. Ich kenne genügend schmerzliche Beispiele, wo Eltern alles daransetzen, zu verhindern, daß die Tochter dem Ruf Christi folgt und Ordensfrau wird, wo der Wunsch eines jungen Mannes, Priester zu werden und so Christus nachzufolgen, von der Familie als Schande, ja als Katastrophe eingeschätzt wird.
Die eigene Familie „hassen“ und die Feinde „lieben?“ Beide Male geht es um Freiheit. Jesus will uns frei machen: frei von zu engen Anhänglichkeiten, frei auch von Vorurteilen. Frei von allem, um im Feind den Menschen zu sehen und so die Spirale von Haß, Ablehnung, Gewalt zu durchbrechen. Frei, um in der Familie die Menschen zu sehen, die ich besonders lieben soll und darf, aber deren Wünsche ich nicht über den Willen Gottes stellen darf. Die Nachfolge Jesu ist vor allem eine Schule der inneren Freiheit: kein leichter, aber sicher ein lohnender Weg!
In jener Zeit als viele Menschen Jesus begleiteten; wandte er sich an sie und sagte: Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.
Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.
Wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und rechnet, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen? Sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertig stellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten und sagen: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen.
Oder wenn ein König gegen einen anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht zuerst hin und überlegt, ob er sich mit seinen zehntausend Mann dem entgegenstellen kann, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt? Kann er es nicht, dann schickt er eine Gesandtschaft, so lange der andere noch weit weg ist, und bittet um Frieden.
Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.