Gottes Liebe ist wie ein Feuer, das alles Falsche in uns ausbrennen will.
Gottes Liebe ist wie ein Feuer, das alles Falsche in uns ausbrennen will.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 2. Adventsonntag,
5. Dezember 2010 (Mt 3,1-11)
Was bewog damals, etwa im Jahr 30 unserer Zeitrechnung, Scharen von Menschen, in die trostlose Wüstengegend von Jericho zu gehen, um einen gewissen Jochanan oder Johannes zu hören? Was zog sie an? Was war an ihm besonderes? Sein seltsam wildes Gewand aus Kamelhaaren? Seine asketische Lebensweise? Seine verwunderliche Nahrung?
Was noch mehr verwundert: dieser eigenartige Wüstenbewohner pflegte keine kuschelsanfte Rede. Seine Worte waren hart und beschwörend. Er forderte zu einem radikalen Wandel auf, zu Umkehr und Buße. Und besonders scharf wurde er, wenn er einige Hochgestellte erspähte, Leute aus der sogenannten „führenden Schicht“. Er schimpfte sie „Schlangenbrut“ und drohte ihnen mit dem ewigen Feuer der Hölle.
Und dennoch kamen sie. Sie hörten ihm zu. Sie ertrugen seine zornigen Reden und ließen sich von ihm im Jordan taufen als Zeichen ihrer Reue und Buße. Was zog sie an? Um das zu verstehen, hilft mir eine eigene Erfahrung.
Ich habe schon gelegentlich von meiner Begegnung mit Padre Pio gesprochen, die ich 1961, im Alter von 16 Jahren hatte. Der inzwischen heilig gesprochene Kapuzinerpater Pio hatte Manches mit Johannes dem Täufer gemeinsam. Er war ein strenger Bußprediger. Er lebte nicht in der Wüste, aber sein Alltag war geprägt von Opfer und Buße, von Fasten und Beten – und von einer schier unbegrenzten Verfügbarkeit für die Scharen von Menschen, die zu ihm beichten kamen.
Padre Pio konnte scharfe Worte gebrauchen wie Johannes der Täufer. Er hat oft Leute aus dem Beichtstuhl weggeschickt, wenn er den Eindruck hatte, dass sie nicht ehrlich ihre Sünden bereuen. Ja er konnte mitten in der Messe sich umdrehen und jemanden in der Kirche fixieren und ihm zurufen: „Raus! Geh hinaus!“ Mit hochrotem Kopf ging der so Angeherrschte hinaus.
Padre Pios Mitbrüder fragten ihn immer wieder, warum er so hart sei. Seine Antwort war immer: aus Liebe! Denn er spürte: dieser Mensch braucht dringend Umkehr, Buße, Beichte. Und tatsächlich kam es fast immer schließlich zu einer tiefen, befreienden Bekehrung.
Warum kamen die Menschen zu Johannes, warum zum Padre Pio – obwohl sie mit einer kräftigen „Kopfwäsche“ rechnen mussten?
Ich glaube, darauf gibt es nur eine Antwort: weil sie spürten, dass Johannes ein Gottesmann war. An ihm war alles echt. Keine Verlogenheit. Keine Heuchelei. In ihm erlebten die Menschen Gottes Gegenwart. Die zog sie an. Und so war es bei Padre Pio. Gottes Nähe war in diesen Menschen greifbar. Gottes Liebe ist wie ein Feuer, das alles Falsche in uns ausbrennen will. In Johannes brannte dieses Feuer. Und auch in Padre Pio. Und dieses Feuer zog die Menschen an. Alle, die „Kleinen“ und die „Großen“. Und alle ließen sich die strengen Worte gefallen, weil sie wahr und echt waren. Wie sehr brauchen wir heute solche „Johannesse“, solche „Padre Pios“, solche Gottesmänner!
In jenen Tagen trat Johannes der Täufer auf und verkündete in der Wüste von Judäa: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.
Er war es, von dem der Prophet Jesaja gesagt hat: Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!
Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften; Heuschrecken und wilder Honig waren seine Nahrung. Die Leute von Jerusalem und ganz Judäa und aus der ganzen Jordangegend zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen.
Als Johannes sah, dass viele Pharisäer und Sadduzäer zur Taufe kamen, sagte er zu ihnen: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Gericht entrinnen könnt? Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater.
Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.
Ich taufe euch nur mit Wasser (zum Zeichen) der Umkehr. Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen.
Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Schon hält er die Schaufel in der Hand; er wird die Spreu vom Weizen trennen und den Weizen in seine Scheune bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.