Er hat ihr Herz berührt, weil er ihr die Wahrheit mit Liebe gesagt hat.
Er hat ihr Herz berührt, weil er ihr die Wahrheit mit Liebe gesagt hat.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 3. Fastensonntag,
27. März 2011 (Joh 4, 5-19. 28-30. 39)
In Zeiten von Wikileaks wird alles gesagt. Nichts, aber schon gar nichts bleibt geheim. Die elektronische Welt macht alles zum Glashaus, einsichtig von allen Seiten. Und meistens wird der so durchsichtig gemachte „gläserne Mensch“ auch zum Beschuldigten. Auf Barmherzigkeit kann keiner hoffen.
Auch Jesus enthüllt. Er sagt der Frau am Jakobsbrunnen auf den Kopf zu, wie es um ihr Leben steht. Aber wie anders ist es, wenn Jesus die Wahrheit an den Tag bringt!
Versuchen wir, uns in die Szene einzufühlen. Mittagshitze (=sechste Stunde). Jesus rastet erschöpft am Brunnen Jakobs. Da kommt eine Frau, eine Samariterin, um Wasser zu schöpfen. Kein vernünftiger Mensch geht im Orient zu Mittag zum öffentlichen Brunnen. Es ist viel zu heiß. Früh morgens oder in der Abendkühle kommen die Frauen zum Brunnen.
Kommt diese Frau zu Mittag, weil sie da sicher ist, dem Klatsch und Tratsch der Frauen ihres Dorfes zu entkommen? Grund genug hat sie. Ihr chaotisches, ungeordnetes Leben hat sie einsam gemacht.
Da begegnet sie einem, der so anders ist: Jesus, ein Jude, redet sie an. Mehr: Er bittet sie, ihm zu trinken zugeben. Das berührt ihr Herz. Da ist einer, der sie nicht schief ansieht Er bittet sie um einen kleinen Liebesdienst: Gib mir zu trinken! So fasst sie Vertrauen. Er spricht von einer Gabe, die er geben kann, von einem Quell lebendigen Wassers, das allen Durst stillt.
„Gib mir von diesem Wasser“, bittet sie, „damit ich keinen Durst mehr habe“. Nach Liebe hat sie stets gedürstet, und sie bei Männern gesucht, ohne sie zu finden. „Geh, ruf deinen Mann“. „Ich habe keinen Mann“. Jesus sagt ihr auf den Kopf zu: „Fünf Männer hast du gehabt, und der, mit dem du jetzt lebst, ist nicht dein Mann“.
Jesus sagt ihr die Wahrheit. Aber nicht so, wie es heute meist geschieht: um bloßzustellen, um aufzudecken. Er sagt ihr alles ganz offen, und sie ist nicht verletzt. Die Wahrheit macht frei, hat Jesus gesagt. Für die Frau war es befreiend, was Jesus ihr über ihr unglückliches Liebesleben sagt. Er hat ihr Herz berührt, weil er ihr die Wahrheit mit Liebe gesagt hat.
Mich erschüttert das Wort dieser Frau: „Ich habe keinen Mann!“ Welche Einsamkeit mitten in ihren vielen Männergeschichten! Jesus hat ihre tiefe Sehnsucht angesprochen und so die Quelle lebendigen Wassers in ihrem Herzen geweckt. Alles ist anders geworden. Die Frau eilt in den Ort und ruft alle zusammen, vor denen sie sich vor Scham versteckt hatte: „Da ist einer, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe!“ Und sie, die Verschreckte, führt den ganzen Ort zu Jesus hin. Und viele kommen zum Glauben an Jesus.
Jesus sagt auch mir die Wahrheit über mein Leben. Er klagt nicht an. Er nimmt mich an. Seine Liebe macht mich frei. Das darf auch ich den anderen weitersagen! Und sie zu Jesus führen!
In jener Zeit kam Jesus zu einem Ort in Samarien, der Sychar hieß und nahe bei dem Grundstück lag, das Jakob seinem Sohn Josef vermacht hatte. Dort befand sich der Jakobsbrunnen.
Jesus war müde von der Reise und setzte sich daher an den Brunnen; es war um die sechste Stunde. Da kam eine samaritische Frau, um Wasser zu schöpfen.
Jesus sagte zu ihr: Gib mir zu trinken! Seine Jünger waren nämlich in den Ort gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen.
Die samaritische Frau sagte zu ihm: Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern.
Jesus antwortete ihr: Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.
Sie sagte zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden?
Jesus antwortete ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.
Da sagte die Frau zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierher kommen muss, um Wasser zu schöpfen.
Ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; ihr aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muss.
Jesus sprach zu ihr: Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden.
Aber die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden. Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten.
Die Frau sagte zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, das ist: der Gesalbte - Christus. Wenn er kommt, wird er uns alles verkünden.
Da sagte Jesus zu ihr: Ich bin es, ich, der mit dir spricht.
Viele Samariter aus jenem Ort kamen zum Glauben an Jesus. Als die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben; und er blieb dort zwei Tage.
Und noch viel mehr Leute kamen zum Glauben an ihn aufgrund seiner eigenen Worte. Und zu der Frau sagten sie: Nicht mehr aufgrund deiner Aussage glauben wir, sondern weil wir ihn selbst gehört haben und nun wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt.