Die Welt des Menschen ist nicht nur Kampf ums Dasein, sondern auch voller Güte und gegenseitiger Hilfe. Sehen wird das alles freilich nur der, der an die Liebe glaubt - wie Gott selber!
Die Welt des Menschen ist nicht nur Kampf ums Dasein, sondern auch voller Güte und gegenseitiger Hilfe. Sehen wird das alles freilich nur der, der an die Liebe glaubt - wie Gott selber!
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am Dreifaltigkeitssonntag,
19. Juni 2011 (Joh 3,16-18)
Gott liebt diese Welt! So beginnt ein modernes Kirchenlied. Aber ist diese Welt liebenswert? Ist sie nicht eher ein „Jammertal“, wie es in einem alten Kirchenlied heißt? Ein „Tal der Tränen“, eine Welt voller Krieg, Leid und Tod? Ist nicht das Leben auf dieser Erde für die Mehrzahl der Menschen eine Plage, aus der nur der Tod befreit? Grausam, unerbittlich ist oft die Natur! Wie viel sinnloses Leid, schon in der Tierwelt, und erst recht in der Welt von uns Menschen.
Ich denke mir oft: Wie schwierig muss das für junge Menschen heute sein, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken? Sie wachsen auf mit all den Schreckensszenarien der Umweltkatastrophen, den Perspektiven des Klimawandels, den düsteren Aussichten der Staatsverschuldungen, den geringen Chancen am Arbeitsmarkt, der Unsicherheit künftiger Gesundheits- und Pensionssysteme.
Was soll da das Wort Jesu an den Ratsherrn Nikodemus, der ihn heimlich zu nächtlicher Stunde besuchen kam: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er (für sie) seinen einzigen Sohn hingab“.
Ist diese Welt so liebenswert? In meiner Jugend sahen die Perspektiven ganz anders aus. Es war die Zeit des beginnenden Wohlstands. Arbeit war leicht zu finden und dauerhaft zu behalten. Von Jahr zu Jahr ging es uns besser. Fortschritt war das magische Wort. Und in der Kirche galt das Motto: Zuwendung zur Welt, nicht Abwendung von ihr.
Gott liebt diese Welt: das war uns damals irgendwie offensichtlich. Heute höre ich immer wieder von Erwachsenen, dass sie „keine Kinder in diese Welt setzen wollen“. Ich glaube, wir waren damals zu optimistisch und neigen heute dazu, zu pessimistisch zu sein.
Was Jesu dem Nikodemus sagt, ist nicht eine naive, rosarote Sicht der Welt. Gott liebt diese Welt so sehr, sagt Jesus, dass er sie retten will. Sie ist also offensichtlich gefährdet. Das wissen wir heute besser als in meiner Jugendzeit. Gott will, dass wir nicht zugrunde gehen. Wir sind also in einer ganz schön bedrohten Lage.
Jesus sieht freilich die Gefahr nicht zuerst in der globalen Bedrohung durch Klimawandel und Katastrophen, sondern im Unglauben. Er spricht vom Gericht, das die trifft, die nicht glauben. Was meint er? Was heißt das? Wer glaubenslos durch die Welt geht, dem wird sie zum Tal des Todes. Wer nicht glaubt, dass Gott die Welt liebt und uns retten will, dem wird sie zum Ort eines blinden Wütens des Todes, der sieht in ihr nur die kalte Grausamkeit der Natur, in der der Schwache keine Chance hat. Dann wird der Alltag zur sinnlosen Tretmühle, an deren Ende das endgültige Aus des Todes steht.
Gott liebt diese Welt so sehr, weil sie so sehr gefährdet ist. Er liebt uns so sehr, weil wir so sehr bedroht sind. Wie ernst er diese Liebe meint, hat er dadurch gezeigt, dass Er für uns den vollen Einsatz wagt: Seinen einzigen Sohn für uns herzugeben, Jesus, den Heiland, den Retter. Wer an diese Liebe glaubt, der braucht die Zukunft nicht zu fürchten, auch wenn sie schwierig werden sollte.
Ist diese Welt liebenswert? Es gibt in Ihr unbeschreiblich Schönes. Die Natur ist nicht nur grausam, sondern wundervoll bergend und schützend. Die Welt des Menschen ist nicht nur Kampf ums Dasein, sondern auch voller Güte und gegenseitiger Hilfe. Sehen wird das alles freilich nur der, der an die Liebe glaubt - wie Gott selber!
In jener Zeit sprach Jesus zu Nikodemus: Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass es seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.
Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.
Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er an den Namen des einzigen Sohnes Gottes nicht geglaubt hat.