Wenn Gott an erster Stelle steht, dann werden die Eltern nicht zu Götzen, die Kinder nicht zu Halbgöttern. Dann sind die Eltern und ihre Kinder zuerst einmal Kinder Gottes und untereinander gleich.
Wenn Gott an erster Stelle steht, dann werden die Eltern nicht zu Götzen, die Kinder nicht zu Halbgöttern. Dann sind die Eltern und ihre Kinder zuerst einmal Kinder Gottes und untereinander gleich.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium 13. Sonntag im Jahreskreis,
26. Juni 2011 (Mt 10,37-42)
Niemand steht uns näher als die eigenen Eltern. Ihnen verdanken wir das Leben. Mit ihnen bleiben wir ein Leben lang verbunden. Die Nabelschnur zwischen Mutter und Kind wird zwar bei der Geburt getrennt, sie bleibt aber als die stärkste und tiefste Bindung ein Leben lang bestehen. Nicht umsonst sieht die Bibel in der Mutter-Kind-Beziehung den besten Vergleich für unsere Gottesbeziehung: „Selbst wenn eine Mutter ihr Kind vergessen könnte (was fast undenkbar ist), ich, dein Gott, vergesse dich nicht“.
Damit sind wir mitten im Evangelium. Es gibt eine Bindung, sagt Jesus, die hat selbst vor der Eltern-Kinder-Beziehung Vorrang: Gott gebührt immer der erste Platz! Jesus, der Sohn Gottes, kommt noch vor den eigenen Eltern, vor den eigenen Kindern! Ist das nicht maßlos anmaßend? Gebieten die Gebote Gottes nicht Liebe und Ehrfurcht für Vater und Mutter? Stimmt! Aber dieses Gebot („Du sollst Vater und Mutter ehren…..“) ist das vierte der zehn Gebote. Die ersten drei beziehen sich auf die Liebe und Ehrfurcht Gott gegenüber.
Wer die eigenen Eltern oder Kinder mehr liebt als Jesus, kann kein Jünger Jesu sein. Das klingt sehr radikal und ist es auch. Aber wie immer ist das Evangelium eine befreiende Botschaft. Das starke Band zwischen Eltern und Kindern kann auch eine Fessel sein. Mütter lassen manchmal ihre Kinder nicht los. Väter können zu Tyrannen werden. Familieninteressen drohen zum Familienegoismus zu werden. Die Familienehre kann zur Zwangsjacke geraten, und Familienkonflikte sind bisweilen die bittersten, hasserfülltesten Kriegsschauplätze.
Jesus bringt Freiheit. Es gibt auch eine enge, unfreie Familienbindung. Wenn Gott an erster Stelle steht, dann werden die Eltern nicht zu Götzen, die Kinder nicht zu Halbgöttern. Dann sind die Eltern und ihre Kinder zuerst einmal Kinder Gottes und untereinander gleich. Diese Befreiung hat Jesus gebracht. Sie kann schmerzlich sein, wenn etwa ein Sohn sagt, er wolle Priester werden, statt den Betrieb der Eltern zu übernehmen.
Die Befreiung Jesu ist aber noch radikaler. Mehr als an den Eltern hängen wir an uns selber. Wie oft bin ich mir selber der Nächste, und bin darüber bereit, meine Allernächsten zu vernachlässigen: die eigene Familie, die Eltern, die Kinder! Der Egoismus ist oft noch stärker als die Familienbande. Wie oft werden alte Eltern vergessen, weil einem die eigene Selbstverwirklichung wichtiger ist!
Jesus spricht ein unerbittlich wahres Lebensgesetz aus: „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren“: Wer sich selber zum Mittelpunkt macht, bleibt am Schluss alleine übrig. Daher Jesus klares Wort: „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt….“ Elternliebe, Eigenliebe, Gottesliebe: alles gelingt nur, wenn wir auch zu Leid und Kreuz Ja zu sagen bereit sind. Ohne Kreuz gibt es keine gelungene Liebe, kein geglücktes Leben. Schaffen können wir das nur mit Gottes Hilfe. Aber Er hat sie uns ja auch zugesagt.
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig.
Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mit nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.
Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. Wer einen Propheten aufnimmt, weil er ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten.
Wer einen Gerechten aufnimmt, weil er ein Gerechter ist, wird den Lohn eines Gerechten erhalten. Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist - amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen.