Aber selbst die Tiere bekommen von den Resten ...
Aber selbst die Tiere bekommen von den Resten ...
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium 14. Sonntag im Jahreskreis,
14. August 2011 (Mt 15,21-28)
Von Jesus lernen! Das ist der eigentliche Weg, Christ zu werden. Bei uns sind immer noch die meisten Menschen getauft, also Christen. Christ wird man aber nicht nur durch die Taufe, sondern dadurch, dass man bei Jesus in die Lebensschule geht: „Lernt von mir!“ hat Jesus gesagt und nicht umsonst wird er „Meister“ genannt. Ich sehe heute die erste und wichtigste Aufgabe für die Christen in unserem Land, dass wir werden, was wir sind, dass wir aus Getauften zu lebendigen Christen werden.
Ein Stück „Lebensschule Jesu“ bietet das heutige Evangelium. Dazu müssen wir uns zuerst die Szene vergegenwärtigen. Die Grenze zwischen Juden und Heiden war damals klar und scharf gezogen. Das führte leicht dazu, dass die gegenseitigen Vorurteile mächtig wirkten und die Abgrenzung noch verstärkten.
Jesus scheint hier voll auf der Seite der Ausgrenzung und der Vorurteile gegen „die Anderen“, „die Heiden“ zu stehen. Die Szene spielt im heidnischen Küstengebiet von Tyrus und Sidon (heute Libanon). Jesus hat sich hierher zurückgezogen. Warum? Weil er in Galiläa, in der eigenen, jüdischen Heimat, immer mehr auf Ablehnung stößt? Wir wissen es nicht.
Die heidnische Frau nennt Jesus „Sohn Davids“. Sie hat offensichtlich von ihm gehört, von seinen Heilungen und Wundern. So überschreitet sie die Grenze und wendet sich hilfesuchend an den Juden aus Nazareth. Aber Jesus bleibt (scheinbar) strikt und streng bei seinem „Vorurteil“: Ich bin nur für die Juden da! Gott hat mich gesandt „die verlorenen Schafe Israels“ zu sammeln.
Erschreckend hart wirkt Jesu Verhalten. Die Jünger dagegen scheinen viel toleranter, kulanter zu sein: Gib der Frau doch, um was sie bittet! Aber das Motiv der Jünger ist nicht das Mitleid mit der Frau, sondern die Peinlichkeit, dass sie so aufdringlich hinter Jesus her schreit. Jesu scheinbar abweisende Haltung führt viel tiefer als das schnelle, nur oberflächliche Mitleid der Jünger.
Die Frau lässt nicht locker. Sie wirft sich vor Jesus hin, fleht um Hilfe für ihre leidgeplagte Tochter. Jetzt müsste doch Jesus seine Grenzen überschreiten und sein Herz auch für die Andersgläubige öffnen! Stattdessen wirft er ihr ein beleidigendes Wort hin: Das Brot ist für die Kinder, nicht für die Hunde! Die Frau reagiert aber nicht gekränkt. Im Gegenteil: Sie gibt ihm völlig recht: Zuerst müssen die Kinder ihr Brot bekommen, ehe die Hunde dran kommen. Aber etwas fällt bei den Kindern doch immer unter den Tisch. Das dürfen die Hunde haben. Da ist Jesus überwältigt: Frau, dein Glaube ist groß!
Was heißt das für die Lebensschule Jesu für uns heute, für Getaufte und Andersgläubige? Zuerst: Jesus hat seinen (jüdischen) Glauben ernst genommen. Toleranz heißt nicht: alles ist gleich, alles ist gleich gültig. Denn wenn das so wäre, dann wäre bald alles gleichgültig! Den christlichen Glauben ernst nehmen, das heißt auch Grenzen anerkennen. Jesus will wohl, dass wir Christen wirkliche Christen sind.
Heißt das Verachtung, Schlechtmachen der anderen Religionen? Jesus zeigt uns etwas Anderes. Er staunt über den tiefen Glauben, den er bei dieser kummergeplagten Heidin findet. Er zeigt uns, seinen Jüngern, die oft nur oberflächlich tolerant sind, was es Schönes und Großes ist, echten, gelebten Glauben auch außerhalb der Grenzen unserer Religion zu finden. Und hilft uns so, dadurch selber im eigenen Glauben zu wachsen.
In jener Zeit zog Jesus sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück. Da kam eine kanaanäische Frau aus jener Gegend zu ihm und rief: Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon gequält. Jesus aber gab ihr keine Antwort.
Da traten seine Jünger zu ihm und baten: Befrei sie von ihrer Sorge, denn sie schreit hinter uns her. Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.
Doch die Frau kam, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir! Er erwiderte: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen. Da entgegnete sie: Ja, du hast Recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Darauf antwortete ihr Jesus: Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.