Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium für den 27. Sonntag im Jahreskreis,
2. Oktober 2011 (Mt 21,33-44)
Dieses Gleichnis Jesu kann auf zwei Ebenen gelesen werden: was es damals, in Jerusalem, bedeutete, und was es heute uns zu sagen hat, als aktuelles Wort Jesu.
Damals spitzte sich die Krise dramatisch zu. Jesus war wieder nach Jerusalem gepilgert, zum Pessach, dem jüdischen Osterfest. Die religiösen Autoritäten waren schon entschlossen, ihn möglichst bald zu beseitigen. Jesus weiß das und rechnet damit. Und er sagt es seinen Gegnern in einer Bildsprache, die sie genau verstehen.
Er redet zu ihnen in der Sprache der alten Propheten. Die bezeichneten gerne das auserwählte Volk der Juden als einen Weinberg, den Gott selber gepflanzt und umzäunt hat. Von diesem erwartet sich der Eigentümer guten Ertrag. Die Pächter, also die Verantwortlichen und das Volk selber, wollen aber lieber in die eigene Tasche wirtschaften. Deshalb hören sie nicht auf die Knechte des Besitzers, die seinen Ernteanteil abholen sollen.
Gemeint sind damit die Propheten, die Gott seinem Volk immer wieder geschickt hat, um es an Ihn zu erinnern und es zur Umkehr zu ermahnen. Die Bibel bezeugt uns, wie schlecht es meist den Propheten erging, die in Gottes Namen versuchten, das Volk aufzurütteln. Sie wurden verspottet, verfolgt oder gar umgebracht.
Jesus wagt einen letzten Schritt. Er sagt seinen Obrigkeiten: es gibt noch eine letzte Chance. Gott hat euch seinen letzten Boten gesandt: seinen eigenen Sohn! Deutlicher hat Jesus selten über sich selber gesprochen. Und gleichzeitig Gottes letztes Angebot genannt: Hört wenigstens auf mich, den Sohn Gottes! Wir wissen, wie es ausging. Jesus wurde getötet. Der Weinberg wurde anderen anvertraut. Wir, die Christen, sind diese „anderen Winzer“, die es besser machen sollen, die dem Weinbergbesitzer „die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist“.
Und das ist nur die zweite Ebene, um das Gleichnis Jesu zu lesen. Es meint auch uns. Es meint die Christen heute. Machen sie es besser als die Juden damals? Bringen sie guten Ertrag? Kann Gott, der Eigentümer des Weingartens, mit den Früchten der Christen zufrieden sein? Eines ist sicher: Wir haben keinen Grund, uns über jene Juden zu erheben, die damals die Tötung Jesu betrieben haben. Wie ginge es Jesus heute bei uns?
Das Gleichnis Jesu ist eine große Anfrage an den Einzelnen und an das „Volk Gottes“, die Kirche. Bringe ich den Ertrag, den Gott von mir erhofft? Mein Leben ist wie ein Weinstock, den Gott gepflanzt hat. Wurde daraus ein fruchtbarer Weinstock mit guten, saftigen, süßen Trauben?
Wie gehe ich mit denen um, die mich erinnern, dass Gott von mir mehr als saure, magere Trauben erwartet? Wie geht es heute denen, die wie die Propheten zur Umkehr mahnen? Gilt von ihnen, was Jesus von sich gesagt hat: „Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat und in seiner Familie“.
Eines tröstet mich: Jesus wusste, dass sie ihn töten werden. Jesus weiß auch, wie wenig wir seinen Erwartungen entsprechen. Er hat damals denen verziehen, die ihn ans Kreuz brachten. Er möge uns heute barmherzig verzeihen. Wir haben es nötig!
In jener Zeit sprach Jesus zu den Hohenpriestern und den Ältesten des Volkes:
Hört noch ein anderes Gleichnis: Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm.
Dann verpachtete er den Weinberg an Winzer und reiste in ein anderes Land. Als nun die Erntezeit kam, schickte er seine Knechte zu den Winzern, um seinen Anteil an den Früchten holen zu lassen.
Die Winzer aber packten seine Knechte; den einen prügelten sie, den andern brachten sie um, einen dritten steinigten sie. Darauf schickte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; mit ihnen machten sie es genauso.
Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben. Als die Winzer den Sohn sahen, sagten sie zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn töten, damit wir seinen Besitz erben. Und sie packten ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um.
Wenn nun der Besitzer des Weinbergs kommt: Was wird er mit solchen Winzern tun? Sie sagten zu ihm: Er wird diesen bösen Menschen ein böses Ende bereiten und den Weinberg an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist.
Und Jesus sagte zu ihnen: Habt ihr nie in der Schrift gelesen: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden; das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder?
Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zermalmen. Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt.