Woran erkennt man den wirklichen Meister? Sicher zuerst an seinem Wissen und Können. Dann aber vor allem an seiner Haltung.
Woran erkennt man den wirklichen Meister? Sicher zuerst an seinem Wissen und Können. Dann aber vor allem an seiner Haltung.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium für den 31. Sonntag im Jahreskreis,
30. Oktober 2011 (Mt 23,1-12)
Wer das Glück hatte, bei einem echten Meister in die Lehre zu gehen, der wird mich verstehen. Ich habe zwar – leider! – kein Handwerk gelernt, aber ich hatte gute Lehrmeister, in meinem Studium und auch in meinen (Ordens-) Leben. Unvergessen ist mir das Jahr, das ich bei Professor Joseph Ratzinger, heute Papst Benedikt XVI., verbringen durfte. Er war ein ausgezeichneter Lehrer, ein wirklicher „Lehrmeister“. Nicht umsonst kamen Studenten aus der ganzen Welt, um bei ihm „in die Lehre“ zu gehen, und viele von Ihnen wurden, geschult von diesem Meister, selber zu guten Lehrern, ja Meistern.
Das ist der Sinn, warum wir Meister suchen, wenn wir wirklich etwas lernen wollen, und darüber hinaus auch noch persönlich von einem Vorbild geprägt werden möchten. Denn ein guter Meister, egal in welchem Fach, ob Handwerk, Kunst oder Studium, vermittelt immer mehr als nur Können und Wissen. Er prägt seine Schüler auch menschlich, formt sie seelisch, ist ihnen ein Vorbild für’s ganze Leben.
Nach diesem „Lob der Meister“ fragen sich meine Leser vielleicht, was das soll, wo doch Jesus genau das Gegenteil zu sagen scheint: „Ihr sollt euch nicht Rabbi – Meister – nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder“. Auch will Jesus nicht, dass wir uns „Lehrer“ nennen lassen, „denn nur einer ist euer Lehrer, Christus“.
Also weg mit den Lehrern? Schluss mit den Meistern? Keine „Meisterklasse“ mehr in Musik und Malerei? Keine Lehrlinge mehr im Handwerk? Keine Professoren an der Universität? So dachten viele der 1968-er-Generation: Wir sind alle gleich, auch der Anfänger ist schon ein Meister, und die, die behaupten, sie seien Meister, sollen sich als Anfänger sehen. Viel ist mit dieser Sicht zerstört worden. Nicht nur falsche Autoritäten, ungesunde Machtansprüche wurden abgebaut, sondern auch echte Meisterschaft geriet in Verdacht.
Jesus hat mit seinen Worten die heuchlerische, falsche Autorität von Lehrern und Meistern bloßgestellt: Leute, die andere belehren, selber aber das Gegenteil tun; kirchliche oder weltliche „Meister“, die sich nur wichtig machen, gesehen und geehrt werden wollen. Sie sind im Grunde keine echten Meister, sondern deren Karikatur.
Woran erkennt man den wirklichen Meister? Sicher zuerst an seinem Wissen und Können. Dann aber vor allem an seiner Haltung. Jesus benennt sie klar: „Der Größte von euch soll euer Diener sein“. Solche Meister durfte ich erleben: bescheiden, hilfsbereit, wirklich dem Wohl der Schüler dienend, und zugleich große Könner in ihrem Fach. Ich glaube, an solchen Meistern hat Jesus seine Freude. Und wir brauchen sie dringend!
In jener Zeit wandte sich Jesus an das Volk und an seine Jünger und sprach: Die Schriftgelehrten und die Pharisäer haben sich auf den Stuhl des Mose gesetzt.
Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen, aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen. Sie schnüren schwere Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, wollen selber aber keinen Finger rühren, um die Lasten zu tragen.
Alles, was sie tun, tun sie nur, damit die Menschen es sehen: Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern lang, bei jedem Festmahl möchten sie den Ehrenplatz und in der Synagoge die vordersten Sitze haben, und auf den Straßen und Plätzen lassen sie sich grüßen und von den Leuten Rabbi - Meister - nennen.
Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel.
Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus. Der Größte von euch soll euer Diener sein.
Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.