Propheten schmeicheln nicht. Sie sagen Unangenehmes, sprechen Probleme an, die lieber verschwiegen werden.
Propheten schmeicheln nicht. Sie sagen Unangenehmes, sprechen Probleme an, die lieber verschwiegen werden.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 14. Sonntag im Jahreskreis,
8. Juli 2012 (Mk 6,1b-6)
Kein Prophet gilt etwas im eigenen Land. Das war schon damals, zur Zeit Jesu, ein Sprichwort, und es ist bis heute eines geblieben. Warum war das so? Ich denke, der Grund ist ganz einfach: Propheten schmeicheln nicht. Sie sagen Unangenehmes, sprechen Probleme an, die lieber verschwiegen werden. Vor allem: Sie fordern Veränderung. Sie rufen zur Umkehr auf. Und das ist mühsam. Das verlangt Umdenken, Loslassen, neue Wege gehen. Dagegen wehrt sich die Gewohnheit: Das war schon immer so! Da könnte ja jeder kommen!
Die Frage lautet: Wer ist ein echter Prophet? Wie unterscheiden wir versponnene, verstiegene Ideen von wirklich notwendigen Impulsen? Wo liegt das richtige Maß zwischen Schwarzsehen und Beschwichtigen? Wie erkennen wir, ob jemand zu Recht vor Unglück warnt oder ob er übertreibt?
Aber schauen wir uns „den Fall Jesus“ an. Warum galt er in seiner eigenen Heimat so wenig? Und wie ist es in unserer Heimat? Wie viel gilt er in Österreich? In Nazareth ist die Reaktion auf den plötzlich so berühmten Mitbürger sehr gemischt. Staunen einerseits, weil man dem Zimmermann, den alle seit seiner Kindheit kennen, mit dem sie aufgewachsen sind, ein solches Wissen, eine solche Weisheit nicht zugetraut hätte: „Woher hat er das alles“, der Handwerker aus unseren Reihen? Andererseits aber Anstoß, Ablehnung: Für wen hält er sich? Glaubt er, er sei etwas Besseres als wir? Wir kennen doch seine Familie! Die sind auch nicht anders als wir!
Heute ist Nazareth weltweit berühmt als die Heimatstadt Jesu. Damals war man nicht stolz auf ihn, sondern eifersüchtig, besserwisserisch, ja verachtend. Was hat diese damalige Erfahrung uns heute zu sagen? Mich erschüttern diese beiden Worte: „Er konnte dort keine Wunder tun“ und „er wunderte sich über ihren Unglauben“. Im Johannesevangelium heißt es über Christus: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Warum gerade bei den eigenen Leuten solcher Unglauben? Warum nahmen ihn die Seinen so wenig auf, während die, die ihn nicht kannten, ihm die Herzen öffneten?
Vielleicht ist das Haupthindernis für den Glauben an Jesu, dass wir meinen, ihn eh schon zu kennen. So glaubten es seine Landsleute in Nazareth. So glauben wir in Österreich, das Christentum „eh schon“ zu kennen. Man ist ja irgendwie christlich aufgewachsen; hat christliche Wurzeln. Und christliche Traditionen. Aber Christus? Kennen wir ihn? Was er sagte, was er lehrte, was er wollte?
Was ich mir für Österreich wünsche: eine neue Neugierde auf Jesus! Was sagt er wirklich? Was will er? Nicht nur damals in Nazareth, als seine eigenen Leute ihm ablehnend begegneten. Sondern heute! Oft stelle ich mir die Frage: Wie würde Jesus heute handeln? Und dann wird die Frage noch direkter: Wie spricht er mich an, durch das Evangelium? Durch Menschen, denen ich begegne? Wie sehe ich die anderen, wenn ich versuche, sie mit den Augen und dem Herzen Jesu zu sehen? Und dann merke ich: Nicht nur in Nazareth ist Jesus angeeckt, sondern auch bei uns. Seine Barmherzigkeit, aber auch seine Forderungen, die stoßen auf ganz schön viel Widerstand. Nicht nur bei den sogenannten „Kirchenfernen“. Sondern auch im eigenen Haus, in unserer Kirche. Wundert sich Jesus auch über unseren Unglauben?
Jesus kam in seine Heimatstadt; seine Jünger begleiteten ihn. Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, staunten und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Wunder, die durch ihn geschehen! Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns?
Und sie nahmen Anstoß an ihm und lehnten ihn ab.
Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie.
Und er konnte dort kein Wunder tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben. Jesus zog durch die benachbarten Dörfer und lehrte.