Ruft Jesus nicht auch heute Menschen, sich senden zu lassen?
Ruft Jesus nicht auch heute Menschen, sich senden zu lassen?
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 15. Sonntag im Jahreskreis,
15. Juli 2012 (Mk 6,7-13)
Zwölf waren sie ganz am Anfang. Mit ihnen begann es. Nur zwölf! Heute sind aus den 12 schon 1,2 Milliarden Katholiken geworden, eine Milliarde und zweihundert Millionen! Über zwei Milliarden sind es, wenn man alle Christen zusammenzählt. Wie konnte aus diesen zwölf von Jesus Ausgesandten die größte Religionsgemeinschaft der Welt werden?
Dafür gibt es sicher eine Vielfalt von Gründen, religiöse, aber auch politische und kulturelle, geistesgeschichtliche und gesellschaftliche. Mich interessiert heute nicht die Frage, wie es zu dieser gewaltigen Ausbreitung des Christentums kam, sondern wie der Anstoß aussieht, der von Jesus ausging, und der bis heute immer wieder neu wirkt.
Jesus steht von Anfang an vor allem. Von ihm geht alles aus. Er wusste sich von Gott gesandt, und deshalb sandte er seine ersten Anhänger aus, seinen Auftrag weiterzutragen. Sie sollten sein Werk ausbreiten, zuerst einfach in der näheren Umgebung, in den Dörfern und Städten Galiläas, später über die Grenzen der Heimat hinaus, schließlich in alle Länder der Erde.
„Die Zwölf machten sich auf den Weg und riefen die Menschen zur Umkehr auf“. Unzählige haben sich seither auf den Weg gemacht. Sie haben es den ersten Zwölf nachgemacht. Sie haben das Evangelium wirklich bis an die Grenzen der Erde gebracht. Und haben überall Menschen gefunden, die es ihnen nachmachten, die ihrerseits das Werk Jesu weitergetragen haben.
Ich verberge nicht meine Begeisterung für die Geschichte der christlichen Mission. Ich weiß, jedes Mal wenn ich darüber schreibe, bekomme ich sehr kritische Post. Man hält mir alle dunklen Seiten dieser Geschichte vor. Ich bestreite gar nicht, dass es diese dunklen Seiten gegeben hat. Meine Bewunderung gilt aber den vielen christlichen Missionen, die wie die ersten Zwölf losgezogen sind, die „außer einen Wanderstab nichts auf den Weg mitnahmen“: keine großen Machtmittel, keine Vorräte. Sie ziehen los ohne viel Geld, nur mit der Bereitschaft, den Frieden Christi zu bringen, den Kranken zu dienen, ungerechte Fesseln zu lösen, allein in der „Vollmacht“ Jesu, zu versöhnen, der Macht des Bösen die Kraft des Guten entgegenzustellen.
Für mich sind es immer auch persönliche Erinnerungen an Missionare, die mir bei diesem Evangelium in den Sinn kommen. Etwa unser Pater Manfred Marent aus meinem Heimatort Schruns. Dieser Kapuzinerpater hat fünfzig Jahre in Madagaskar gewirkt, selbstlos, segensreich, von vielen geliebt wegen seiner Ausstrahlung, überzeugend als Mann des Evangeliums. Mit einer tiefen Liebe zur Kultur seines Missionslandes hat er dessen Traditionen studiert, sie gesammelt, festgehalten, damit sie nicht verloren gehen. Heute lebt P. Manfred, hochbetagt, wieder in der alten Heimat.
Diese Art von Mission hat wirklich vielen das Licht der Frohen Botschaft gebracht, und sie war nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Wie viele solche Beispiele könnte ich nennen! Sie sind mir Ansporn, das heutige Evangelium neu zu lesen. Ruft Jesus nicht auch heute Menschen, sich senden zu lassen? Es muss ja nicht ein Ruf in ein fernes Land sein. Es kann auch nur der Auftrag sein, hinauszugehen – ohne viele Worte, einfach zu unseren Nächsten.
In jener Zeit rief Jesus die Zwölf zu sich und sandte sie aus, jeweils zwei zusammen.
Er gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben, und er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen.
Und er sagte zu ihnen: Bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder verlasst.
Wenn man euch aber in einem Ort nicht aufnimmt und euch nicht hören will, dann geht weiter, und schüttelt den Staub von euren Füßen, zum Zeugnis gegen sie.
Die Zwölf machten sich auf den Weg und riefen die Menschen zur Umkehr auf. Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie.