Als er die vielen Menschen sah, „hatte er Mitleid mit ihnen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben".
Als er die vielen Menschen sah, „hatte er Mitleid mit ihnen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben".
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 16. Sonntag im Jahreskreis,
22. Juli 2012 (Mk 6,30-34)
Sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen. So hektisch ging es zu. So viele Menschen kamen und gingen. Stress ist nicht neu. Den gab es offensichtlich auch zur Zeit Jesu. Zumindest für seine Mitarbeiter. Deshalb beschließt Jesu: Es ist Zeit, ein wenig Urlaub zu machen. Weg vom Alltag. Weg vom täglichen Andrang. „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir alleine sind, und ruht ein wenig aus!“
Dieses Evangelium passt maß genau für die Ferien. Für die Urlaubszeit. Ruht ein wenig aus! Für viele eine echte Notwendigkeit nach einem harten Arbeitsjahr. Für viele ein Traum, der sich nicht verwirklichen lässt, weil das Geld fehlt, die Urlaubsmöglichkeit nicht gegeben ist, die Lebensumstände es nicht erlauben, Ferien zu machen. Notwendig ist es allemal, gelegentlich auszuspannen. Im Griechischen steht hier das Wort „Pause machen“. Pausenlos arbeiten macht krank. Schon die Bibel sagt auf der ersten Seite, als von den sechs Tagen der Schöpfung die Rede ist, dass Gott selber am siebten Tag von all seinem Werk ruhte, und dass deshalb der Mensch wenigstens einen Tag in der Woche Pause machen soll, um innezuhalten und zur Ruhe zu kommen. Und am Ende des Lebens Wünschen wir den Verstorbenen nicht nur eine kurze Verschnaufpause, sondern „die ewige Ruhe“, auszuruhen von den Mühen des irdischen Lebens.
Aber es kam ganz anders. Aus der Ruhe wurde nichts. Der geplante Urlaub Jesu mit seinen Jüngern fiel ins Wasser. Ihre heimliche Abfahrt mit dem Boot wurde beobachtet. Und schon setzten sich die Scharen in Bewegung, liefen am Ufer voraus und kamen noch vor dem langsamen Ruderboot zu dem Platz am See, den Jesus sich für die Ruhezeit ausgedacht hatte.
Was dachten sich wohl die Jünger, als sie diese Menschenmenge am Ufer warten sahen? Ich kann es mir lebhaft vorstellen. Begeistert werden sie kaum gewesen sein. Es wird wohl so ähnlich gewesen sein, wie wenn unserer Urlaubspläne ins Wasser fallen. Da kommt schon große Enttäuschung auf, Ärger, Unwille, Zorn.
Anders ist die Reaktion Jesu, der sicher am meisten Erholung gebraucht hätte. Als er die vielen Menschen sah, „hatte er Mitleid mit ihnen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben“. Jesus hat nicht zuerst an sich und seinen Urlaub gedacht, sondern an die Menschen, die ihn suchten. Er hat nicht auf seine Müdigkeit geachtet, sondern auf ihre Nöte. Sie alle hätten dringend Erholung, Hilfe, Heilung gebraucht. Sie waren wirklich urlaubsreif, nicht nur er und seine Jünger. Mich beeindruckt diese Haltung Jesu. Er sieht die Not der anderen, ihren Hunger und Durst nach Hilfe, Zuwendung, Liebe. Darüber vergisst er sein eigenes Ruhebedürfnis. Er ist ganz für die anderen da. Besteht aber bei dieser Haltung nicht die Gefahr, Raubbau an den eigenen Kräften zu begehen? Müssen wir nicht auch an uns selber denken? Sicher! Doch wenn unsere Urlaubspläne durch eine Notsituation über den Haufen geworfen werden, ist da nicht Jesus ein Vorbild? Seine Ruhe und seine Kraft hat er auch in solchen Situationen gefunden – vor allem im Gebet.
Die Apostel versammelten sich wieder bei Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten.
Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus. Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen. Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein.
Aber man sah sie abfahren, und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an.
Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange.