"Kyrie eleison", das heißt: Herr, erbarme dich!
"Kyrie eleison", das heißt: Herr, erbarme dich!
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zum Evangelium am 4. Adventsonntag,
23. Dezember 2012, (Lk 1,39-45)
Eines meiner liebsten Adventlieder ist "Maria durch ein Dornwald ging". Es hat nicht nur eine bezaubernde Melodie, es ist auch von großer dichterischer Schönheit. Die erste Strophe lautet: "Maria durch ein Dornwald ging. Kyrie eleison. Maria durch ein Dornwald ging, der hat in sieben Jahr kein Laub getragen. Kyrie eleison." Maria ist unterwegs. Sie hat sich, eilends auf den Weg gemacht, um Elisabeth, ihre Verwandte, zu besuchen, die im sechsten Monat schwanger ist, sie, die als unfruchtbar galt.
Das Lied spricht aber nicht von Elisabeth, nicht von der Begegnung der beiden schwangeren Frauen. Es geht nur um Marias weiten Weg von Nazareth, bis "in eine Stadt im Bergland von Juda". Dieser Weg wird als schwierig beschrieben. Er führt durch einen "Dornwald". Dieses Bild sagt etwas über unseren menschlichen Weg auf Erden. Er ist oft dornig und finster. Unsere Welt ist dürftig und düster. Und Maria geht durch diese Welt, durch Dornen und Disteln, die verwunden und den Weg zur Mühsal machen.
Die Not dieser Welt drückt das Lied dadurch aus, dass es den Dornwald schon sieben Jahre lang ohne Laub sein lässt: ein Bild bitterer Not, weshalb gleich zwei Mal gesungen wird: "Kyrie eleison", das heißt: Herr, erbarme dich!
Die zweite Strophe aber bringt Licht ins Dunkel: "Was trug Maria unter ihrem Herzen? Kyrie eleison. Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen, das trug Maria unter ihrem Herzen. Kyrie eleison."
Maria ist gesegneten Leibes. Sie trägt den unter dem Herzen, den das Volk Israel seit langem erwartet. Sie trägt das Kindlein "ohne Schmerzen". Jede Schwangerschaft, jede Geburt ist mit Schmerzen verbunden. Das sagt schon die Bibel über unsere Stammmutter Eva, zu der Gott sprach: "Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. Unter Schmerzen gebierst du Kinder" (Gen 3,16). Maria, die Mutter der erlösten Menschheit, ist "ohne Schmerzen", ein Anfang einer neuen Menschheit. Ihr Kind aber, das sie durch den harten Dornwald trägt, wird einmal selber eine Dornenkrone tragen, um unsere Sünden wieder gut zu machen. Und dann wird auch Maria seine Schmerzen mittragen. Als schmerzhafte Mutter wird sei beim Kreuz ihres Sohnes stehen.
In der dritten Strophe wird bildlich die Freude sichtbar gemacht, die das Kommen Marias mit dem Kind im Schoß gebracht hat: "Da haben die Dornen Rosen getragen. Kyrie eleison. Als das Kindlein durch den Wald getragen, da haben die Dornen Rosen getragen. Jesus und Maria."
Im dürren, düsteren, dornigen Wald beginnen Rosen zu blühen. Wo Maria und ihr Kind, Jesus, hin kommen, da kommt neues Leben, da wandelt sich die finstere Welt in lichte Freude. Was das traditionelle Adventlied in dichterischer Sprache ausdrückt, benennt das Evangelium ausdrücklich: Auf Marias Gruß hin "hüpfte das Kind vor Freude" in Elisabeths Schoß. Das ist es, was mich an diesem Lied immer so berührt: Mitten in unserer dornenvollen Welt kommt Maria als Botin der Hoffnung, und deshalb "hüpft" einem das Herz "vor Freude".
Nach einigen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet.
Als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib.
Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib.
Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.