Das entscheidende ist nun, ob diese unterschiedlichen Begabungen oder Gaben einander ergänzen oder gegeneinander stehen.
Das entscheidende ist nun, ob diese unterschiedlichen Begabungen oder Gaben einander ergänzen oder gegeneinander stehen.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn
zur Lesung am 4. Sonntag im Jahreskreis,
3. Februar 2013 (1 Kor 12,31-13)
Wer hat nicht schon bei einer Hochzeit die wunderbaren Worte des Apostels Paulus gehört: „Hätte ich die Liebe nicht …“ Es ist ein einziges Loblied auf die Liebe. Sie wird als unbesiegbar stark, treu, haltbar und groß beschrieben, größer als alles, was es sonst im Leben noch gibt.
So habe ich mich entschieden, einmal nicht das heutige Sonntagsevangelium vorzustellen, sondern die Lesung, die im Gottesdienst heute vor dem Evangelium gelesen wird. Es sind so bekannte Worte, und doch lohnt es sich, über sie in Ruhe nachzudenken.
Paulus hatte im vorhergehenden Kapitel von den „Gnadengaben“ gesprochen, den sogenannten „Charismen“. Es gibt unterschiedlichste Begabungen natürlicher Art oder auch besondere Gottesgaben. Die Talente sind sehr unterschiedlich verteilt. Sie ergänzen sich, helfen einander. Der eine hat begabte Hände, der andere einen klugen Kopf. Nicht alle sind musikalisch talentiert, nicht alle haben technische Fähigkeiten. Die Vielfalt der Gaben macht erst den Reichtum einer Gesellschaft aus. Auch die „religiösen Begabungen“ sind sehr vielfältig. Manche haben eine stark gefühlsbetonte Frömmigkeit, andere brauchen einen mehr verstandesbetonten Zugang zu Religion. Wieder andere erleben sich als „religiös unmusikalisch“, wie der deutsche Philosoph Jürgen Habermas von sich selber sagt.
Das entscheidende ist nun, ob diese unterschiedlichen Begabungen oder Gaben einander ergänzen oder gegeneinander stehen. In allen Bereichen des Lebens können sie entweder zur gegenseitigen Ergänzung und Bereicherung führen – oder sich anfeinden und bekriegen. Dann haben wir "rot“ gegen „schwarz“ oder, in der Kirche, „konservativ“ gegen „fortschrittlich“, oder im persönlichen Leben: Liebe oder Krieg.
Hier hat der wunderbare Text des heiligen Paulus seinen Platz. Seine Botschaft ist so schlicht wie wahr: Was nützen alle Begabungen, wenn die Liebe fehlt! Das gilt für die „weltlichen“ Talente ebenso wie für die religiösen. Wenn sie egoistisch, nur zum eigenen Nutzen, zur Selbstbestätigung gebraucht werden, sind sie nicht mehr als tönendes Blech, hohles Gedröhne. Wenn einer sich total für den Nächsten verausgabt, dabei aber nur sich selbst verwirklichen will, also keine echte Liebe dahinter steht, ist das nutzlos. Am schlimmsten ist Frömmigkeit ohne Liebe. Sie stößt nur ab.
„Die Liebe ist langmütig, …sucht nicht ihren Vorteil, … trägt das Böse nicht nach, … sie erträgt alles …“ Stimmt das? Bei der Hochzeit wird es mit Rührung gelesen. Hält es im Leben stand? Gibt es nicht allzu oft das Gegenteil? Dass Liebe in Hass umkippt? „Die Liebe hört niemals auf“, heißt es so schön. Und doch kann das Feuer der Liebe erlöschen, „der Ofen aus sein“.
Aber es gibt auch das Andere: Dass die Liebe siegt. Mit viel Geduld. Mit stets neuem Anfang. Mit immer wieder Verzeihen. Miteinander Ertragen. Da zeigt sich wirklich, wie wahr es ist: Am größten ist die Liebe! Sie allein hat Bestand!
Brüder! Strebt nach den höheren Gnadengaben!
Ich zeige euch jetzt noch einen anderen Weg, einen, der alles übersteigt: Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.
Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.
Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts.
Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit.
Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.
Prophetisches Reden hat ein Ende, Zungenrede verstummt, Erkenntnis vergeht. Denn Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden; wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk.
Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind an mir war. Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.
Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.